Sexismus in der Fotografie

Sexismus in der Fotografie – es gibt tatsächlich eine breite Mehrheit an FotografenInnen, die das Thema für überbewertet halten – die zumindest denken, dass man da „keine grosse Sache draus machen sollte“. Und das hat zumeist etwas damit zu tun, dass viele von ihnen aus Unwissenheit oder Ignoranz Sexismus erst da verorten, wo Körperlichkeit im Spiel ist (der berühmt-berüchtigte Griff an den Po). Der alltägliche Sexismus geht allerdings viel tiefer – er beginnt viel früher und wir sind stellenweise einfach bereits zu abgestumpft, um ihn sofort als solchen zu identifizieren (ich kann mich da ausdrücklich nicht von ausnehmen).

Wieso thematisiere ich das überhaupt? Muss es nicht ausreichen, wenn ich vor meiner eigenen Tür kehre? Dies scheint mir zumindest die allgemeine Einstellung zu dem Thema zu sein. „Vollpfosten gibt’s halt überall. Da kannste nix gegen machen!“. Hier und da etwas (geheuchelte) Empörung wenn sich doch mal ein Model öffentlich über das Verhalten eines Fotografen beklagt, aber ein echtes Bewusstsein für das Problem vermisse ich. Und ich ärgere mich zunehmend darüber. Mir geht es nämlich offen gestanden auf die Nerven, wenn die People-Fotografie von Aussenstehenden nicht selten als ein „Mikrokosmos von Freaks und Perversen“ wahrgenommen wird. Gefühlt ist die Fotografie von der Kunst soweit entfernt wie noch nie – und das regt mich auf.

Man hat als einzelner Fotograf eine Mitverantwortung für diese Entwicklung. Insbesondere aber auch eine Mitverantwortung für das Frauenbild, das durch die Art von Bildern gezeichnet wird, die von einem grossen Teil der FotografenInnen in den sozialen Netzwerken gezeigt und von deren „Buddies“ goutiert werden. Um dieses Frauenbild ist es bei näherer Betrachtung nicht allzu gut bestellt: Unterwürfig, devot, sexy und leicht dümmlich-naiv – so scheint die perfekte Modelbeschreibung für viele FotografenInnen auszusehen. Anders lassen sich die entsprechenden Bildergebnisse nicht erklären.

Wer glaubt, dass ich auf die erotische Fotografie im Allgemeinen oder die Aktfotografie im Besonderen abziele, irrt. Sexismus hat nichts mit dem Grad der Nacktheit zu tun. An dem Abbild einer selbstbewussten, starken und nackten Frau ist absolut nichts sexistisches. Gute, weil ästhetische erotische Fotografie ist nicht per se sexistisch. Das sieht bei (mehr oder weniger) angezogenen Frauen, die sich über Motorhauben räkeln, aufreizend auf Stöckelschuhen durch Industrieruinen laufen (merke: Reizwäsche ist nur selten „reizend!“) oder in fragwürdigen Stellungen zwischen allerlei Küchengerätschaften posieren, schon ganz anders aus – da hilft es auch nicht, wenn man dem leichtbekleideten Model hochgeistige Literatur zur Seite legt. Das hat manchmal fast sogar etwas Satirisches – bis man betroffen erkennt, dass es von den Protagonisten leider doch ernst gemeint war.

Was wirklich betroffen macht, ist die Tatsache, dass dies von einer Mehrheit (auch unter den Models) als „nicht schlimm“ bzw. „normal“ angesehen wird – unter anderem auch, weil es ja quasi jeder macht. Und das hat tatsächlich etwas Tragisches; denn niemand ausserhalb der Foto-„Szene“ findet das wirklich „normal“, wenn Frauen in erniedrigenden Posen oder mit dümmlichen Ausdrücken abgebildet werden.

Nicht jede Idee, die von einem anderen schon mal vorgelebt wurde (und möglicherweise sogar vom Model selbst angetragen wird), muss unbedingt umgesetzt werden – insbesondere auch dann, wenn dem Model die Konsequenzen einer Veröffentlichung ganz offensichtlich nicht klar sind. Schlimm wird es immer dann, wenn das Model hinterher erkennt, dass es mit den Ergebnissen doch nicht klar kommt – und Fotograf sie dennoch veröffentlicht. Empathie geht anders.

In solchen Fällen tritt ein Phänomen zutage, das sich auf die gesamte Szene übertragen lässt: viele Bildergebnisse entstehen ganz offensichtlich aus einer Art „Gruppenzwang“ heraus. Man (Frau) macht das, weil das die anderen (die vermeintlich „coolen Kids“) ja auch machen. Ich gehe soweit, zu behaupten, dass viele Frauen derlei Dinge tun, weil sie den FotografenInnen gefallen wollen – und sei es nur ganz tief im Unterbewusstsein. FotografenInnen sollten sich hier wirklich einmal kritisch hinterfragen; denn mit einem gewissen „Standing“ tappt man schnell in die Falle, seine Position auszunutzen. Kann es sein, dass das, was man wir Fotografen selbst als „überzeugen“ interpretieren, am Ende des Tages vielleicht doch nur „überreden“ war? Dass das „ja, können wir machen“ vielleicht gar nicht mit ehrlicher Überzeugung kam? Ich darf an dieser Stelle verraten, dass ich durch das ein oder andere Gespräch mit Fotografen und Models – aber tatsächlich auch mit Aussenstehenden (Menschen, die nichts mit der Fotografie am Hut haben) – bei diesem Punkt für mich selbst durchaus in’s Grübeln gekommen bin.

Wir haben hier nämlich ein gewisses Dilemma. Genau DAS ist Sexismus at its worst: wenn FotografenInnen ihre Machtposition ausnutzen (manchmal vielleicht auch nur unbewusst), die sie tatsächlich oft haben – sie sitzen ja sprichwörtlich „am Drücker“ und bestimmen somit häufig, wo es langgeht. Und wenn man „King/Queen of Kotelett“ (= in der Szene „angesagt“) ist, kann man die Models auch zu allerlei Merkwürdigkeiten überreden. Es ist erschreckend, wie viele Frauen nach einem Fotoshoot zu Protokoll geben (oft auch erst mit grösserem zeitlichen Abstand), dass sie dies und jenes „eigentlich gar nicht machen wollten“. Oder von sonstigen Merkwürdigkeiten während des Fotoshoots erzählen. Bedauerliche Einzelfälle? Sicher nicht!

Viele verschliessen die Augen vor dem Problem, weil es den meisten Models/Frauen ja (vermeintlich) selbst gefällt. Aber wie ehrlich ist das eigentlich – dieses „selbst gefallen“? Warum wohl gibt es so viele Models, die nach geraumer Zeit die Lust verlieren? Frauen, die von der oberflächlichen und sexistischen Szene nur noch genervt sind. Die zuweilen sogar in Depressionen stürzen – weil sie nicht mehr damit klarkommen, wie Objekte behandelt und (in der Szene) weitergereicht zu werden.

Niemand wirft einem Anfänger der Fotografie vor, wenn er sich vor lauter Unsicherheit zu wenig um das Model kümmert (und es somit umgangssprachlich „links liegen“ lässt). Nicht falsch verstehen: auch das ist gelinde gesprochen nicht schön für die Frau da vor der Kamera und ich kann nur jedem Fotografen dringend empfehlen, als allererstes an seinen zwischenmenschlichen Skills zu arbeiten. Problematisch aber sind vor allem Diejenigen, die es vermeintlich „drauf haben“ und in der Szene angesagt sind. Wenn die das gleiche Verhalten wie der Anfänger an den Tag legen und ihr Model wie ein willfähriges Objekt behandeln. Denn dieses Verhalten dient möglicherweise als Blaupause für Diejenigen, die zu diesen Fotografen aufschauen („die sind ja schliesslich angesagt„). Aber dieses Verhalten ist nichts anderes als Sexismus. Frauen wie Objekte zu behandeln, ist Sexismus!

Die Zusammenarbeit zwischen Mensch hinter und Mensch vor der Kamera muss vor allem von einem geprägt sein: gegenseitigem RESPEKT! Kein Anhimmeln, kein Verehren, kein Anbaggern – RESPEKT ist das, was man (Frau) entgegengebracht bekommen möchte. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit und dennoch beschleicht mich der Eindruck, dass manche FotografenInnen ihre Kolleginnen im Büro respektvoller behandeln als das Model während eines Fotoshoots. Denn – und das scheint vielen wirklich nicht klar zu sein: eine Frau auf ihr Aussehen zu reduzieren, ist respektlos – und sexistisch. Mantraartige Aussagen, wie schön dies oder jenes Körperteil doch sei, ist respektlos – und sexistisch. Anzügliche Bemerkungen sind Sexismus. Jemanden aus den Klamotten quatschen ist Seximus. Jemanden nicht zu fotografieren, weil er sich nicht auszieht, ist Sexismus. Zu erwarten, dass ein Model sich auszieht, weil es sich für einen anderen Fotografen nackt vor der Kamera stand, ist sexistisch. Als Fotograf sollte man sich für die Menschen vor der Kamera als MENSCH interessieren – und ihnen damit Respekt zollen!

Sexismus ist in der Fotografie (leider) allgegenwärtig. Jeder Einzelne von uns hat die Verantwortung, entgegenzusteuern. Vielleicht beginnen wir damit, die bereits stattfindenden Auswüchse in der Szene nicht stillschweigend zu tolerieren oder durch lobhudelnde Bildkommentare unter dämlich-sexistische Bildern auch noch zu unterstützen.