Was macht man mit einem Objektiv, das nach dem griechischen Wort für „verschwommen, unscharf, verwischt („thambo“)“ benannt wurde? Das tatsächlich nicht in der Lage ist (zumindest bei Offenblende), auch nur ein einziges knackscharfes und hochkontrastiges Bild zu produzieren. Und das trotzdem in preislichen Regionen angesiedelt ist, bei denen sich Kaufinteressenten, die keinen Dukatenesel besitzen, unweigerlich fragen, ob man nicht auch mit nur einer Niere auskommen könnte. Diese Frage hat sich wahrscheinlich auch der Dealer meines Vertrauens, Benjamin Dombrowski vom Düsseldorfer Fotohändler Leistenschneider, gestellt. Und da ist er auf die Idee gekommen, das Objektiv diesem einen Typen anzubieten, der sowieso „dauernd unscharfe Bilder macht“. Diesem Fotografen aus Haan. Kurzum: MICH hat er angesprochen!
Jetzt ist es so: ich kaufe bereits seit über 10 Jahren nahezu mein gesamtes Equipment bei ihm und in all den Jahren hat er mir noch nie Mist verkauft – es sei denn, ich habe ausdrücklich drauf bestanden. Ich beschloss also, ihm zu vertrauen und ich muss zugeben, dass mich die Geschichte dieses Objektivs interessierte – eine Konstruktion aus dem Jahr 1935 (!), die Leica mit unveränderter optischen Rechnung im letzten Jahr wieder neu auf den Markt brachte. Wer mich kennt, weiss, dass ich tatsächlich kein Fan von brutaler Schärfe und hochkontrastigen Objektiven bin (weshalb ich damals auch relativ schnell mein Sigma ART Objektiv verkauft habe, obwohl es ein ganz fantastisches Objektiv ist). Und insofern schien mir das Thambar schon genau das richtige zu sein. Und so kaufte ich es.
Ein 90mm Objektiv mit Offenblende 2,2 – geliefert in einer Box, die Apple die Schamesröte in’s Gesicht treiben würde. Die Konstruktion des Objektivs: mehr als solide – selbst der Objektiv-Rückdeckel scheint aus einem Metallblock gefräst. Gebaut wie ein Tanker – so kennt man das von Leica und so liebe ich das. So weit, so gewöhnlich (auch wenn ich mich an den nicht rastenden Blendenring erst noch anfreunden muss). 20 (!) Blendenlamellen lassen dagegen schon mal aufhorchen – alter Schwede! Damit ist das Objektiv in der Lage, ein im wahrsten Sinne des Wortes „traumhaftes“ Bokeh zu zaubern.
Das Thambar produziert laut Leica einen „charakteristisch weichen, verträumt-romantischen Look„, aber zumindest nach meiner Einschätzung ist es KEIN klassisches Weichzeichner-Objektiv. Tatsächlich WIRKEN die Bilder oft weicher – insbesondere dann, wenn viel Licht im Spiel ist -, aber der eigentliche Effekt, woraus der besondere Look der Bilder entsteht, sind die Überstrahlungen der Lichter, die auf der Unterkorrektur der sphärischen Aberration zurückzuführen sind (was genau das ist, fragen Sie bitte am Besten die Leica-Ingenieure oder einen Physiker Ihres Vertrauens – ich habe Physik in der 10. Klasse abgewählt). So ist es möglich, einerseits die Schärfe auf die Augen zu legen und dennoch einen „soften“ Look zu kreieren und Leica weist darauf hin, dass es nicht möglich ist, dieses Look mit Photoshop nachzubauen. Ich habe das nicht überprüft (ich wüsste nicht mal, wie ich das machen soll), aber ich glaube das einfach mal.
Erste Versuche zu Beginn des Jahres hatten mich nicht so recht überzeugt, aber ich war gewillt, dem Objektiv noch eine Chance zu geben und mehr Zeit mit ihm zu investieren. Es ist definitiv eine Linse, die man sich erarbeiten muss und es ist ein Riesenvorteil, wenn man das Thambar an einer Kamera wie der Leica SL mit ihrem elektronischen Sucher nutzen kann. Der ansonsten mitunter kaum kalkulierbare „Effekt“ dieser Objektivkonstruktion lässt sich so besser in den Griff bekommen und man lernt relativ schnell, wie sich die kleine Zicke in den unterschiedlichen Lichtverhältnissen verhält.
Es macht mit dem Thambar nämlich einen gravierenden Unterschied, ob man in Richtung Licht oder in Richtung Schatten fotografiert. Bei dem Shooting in der letzten Woche habe ich neben den Aufnahmen mit dem Thambar auch einige mit dem Noctilux 75 gemacht und obwohl das Noctilux sehr wohl in der Lage ist, traumhafte Aufnahmen mit grandiosen Schärfe-Unschärfe-Verläufen zu kreieren, wirken die Aufnahmen mit dem Noctilux deutlich „härter“ – in einem Ausmaß, das mich ziemlich überrascht hat. Bei Aufnahmen mit viel Umgebungslicht zeigt sich der Look des Thambars am deutlichsten, aber auch die Bilder mit wenig Licht haben das gewisse „etwas“ – im Vergleich zu konventionellen Objektiven für mich selbst ohne Brille leicht zu erkennen. Der Effekt soll übrigens abnehmen (und sogar irgendwann fast verschwinden), wenn man abblendet. Aber dazu hatte ich letzte Woche einfach keine Lust (spätestens hier merkt der geneigte Leser, dass es sich nicht um einen Testbericht handelt – so was kann ich nämlich gar nicht).
Ein Objektiv sicher nicht für jedermann und man muss auch aufpassen, dass einem der Überstrahlungseffekt nicht aus dem Ruder läuft oder zur blossen Effekthascherei verkommt. Ich bin aber tatsächlich mehr als begeistert von dem Look und ich könnte mir vorstellen, das ein oder andere Projekt mit diesem Objektiv zu fotografieren.
Wie sagten schon die ollen Griechen?
„me thambose me teen omorfia tis“
(„von Schönheit geblendet sein„)
Ich habe dem nichts hinzuzufügen – ausser: lasst Bilder sprechen (siehe unten)!
Model: @cece_cologne
PS: der Bericht klingt hier und da möglicherweise nach Werbung (für Leica und für den Fotohändler Leistenschneider) und das ist er auch – wenngleich unbezahlt. Diese Werbung mache ich sehr gern – für beide Protagonisten gilt meine uneingeschränkte Empfehlung!