Ein schönes Gesicht braucht viel Platz


Februar 2015
 
Ich kenne Sarah jetzt seit 4 Jahren. Da stand sie das erste Mal vor meiner Kamera. Und es blieb nicht bei diesem einen Mal. 1-2 Mal pro Jahr besucht sie mich mit ihrem Mann Helge in meinem Atelier in Haan und ich bin immer wieder auf’s Neue fasziniert von ihr und ihrem ausdrucksstarken Gesicht. Ich kannte Sarah all die Jahre nur mit diversen Kurzhaarfrisuren (sagen wir kurz bis mittellang) und genau das fand ich auch immer ganz toll bei ihr. Ich pflege häufig zu sagen „ein schönes Gesicht braucht viel Platz“, was natürlich jedes Mal als Kompliment gemeint ist.
 
 

Oktober 2015


Mai 2017
 
Was ich bis letztes Jahr nicht wusste: Sarah musste bei ihren Haaren immer etwas „tricksen“ und hier und da nachhelfen, wo die Natur nicht so wollte wie sie. Sarah leidet seit vielen Jahren unter Androgenetische Alopezie (anlagebedingtem Haarausfall) und auch wenn sie dieses Schicksal mit vielen Frauen (viel mehr als man denkt) teilt, macht es das im individuellen Fall nicht wirklich leichter. Insbesondere wenn man sich eigentlich lange Haare wünscht. Da helfen auch solch gut gemeinten Komplimente wie oben nicht wirklich weiter – so viel weiss ich heute. Im Nachhinein habe ich mich fast ein wenig geschämt für meinen Spruch.
 
Um so dankbarer war ich, als Sarah irgendwann signalisierte, dass sie es leid sei, immer wieder bei ihren Haaren kaschieren zu müssen, dass sie sich ihre Haare bis auf wenige Millimeter abrasieren würde und dass ich sie so fotografieren darf. Im Juni 2018 war es dann soweit und dabei ist u.a. das folgende Bild entstanden.
 

 
Ich liebe dieses Bild und ich weiss, dass es Sarah auch gefällt. Ich weiss aber auch, dass sie sich mit diesem (Ab)Bild erst noch arrangieren musste. Zumal dieser „Look“ nur ein Zwischenschritt sein sollte zu etwas, das ich dann im Dezember – wenige Tage vor meinem MeetUp – auf Usedom fotografieren sollte. Und so brachte Sarah neben ihren Perücken auch eine Haarschneide-Maschine mit nach Usedom …
 
Etliche Bilder sind entstanden – mit wenig Resthaar und ganz ohne. Ein paar Bilder vom letzten Tag (nach der Rasur) zeige ich in diesem Beitrag – es soll Appetit machen auf eine grössere Bildstrecke, die ich höchstwahrscheinlich im „aj“ Artbook #04 veröffentlichen werde (Juni 2019).
 
Ich danke Sarah für ihren Mut, sich so zu zeigen wie sie ist (wunderschön, wie ich finde) und ich danke ihr für ihr Vertrauen, dass ich sie so fotografieren durfte. Ich verstehe, dass es eine grosse Überwindung gekostet haben muss – insbesondere da eine Frau ohne Haare auch heute immer noch bestenfalls mitleidige Blicke auf sich zieht und vielerorts als „unweiblich“ gilt (etwas, das ich noch nie verstanden habe). Vielleicht machen die Bilder anderen Menschen mit einem ähnlichen Schicksal Mut, sich genau so zu zeigen.