Foto: Yasemin Roos
aj’s trivia*
(Folge 87)
*trivia: „wissenswerte Kleinigkeiten, „dies und das, manchmal auch Kurioses“ [Wikipedia]
Rückblende. Mitte der 90er Jahre. Ich bin Teil eines Programms für „besonders förderungswürdige Nachwuchskräfte“ der Deutschen Bank (weiss der Geier, wie ich da reingerutscht bin). Eine Gruppe von ca. 20 jungen Leuten sitzt im Taunus zusammen und lauscht den Worten von Wolfgang K., Direktor der Deutschen Bank. Er will wissen, was wir bisher gemacht haben im Konzern – er will sich ein Bild von uns machen. Ich bin irgendwann an der Reihe und da mir die blosse Tätigkeitsbeschreibung zu simpel erscheint, schmücke ich meine Ausführungen etwas aus – insbesondere mit all den Dingen, die ich machen will, die ich gut finde, die mir liegen – von denen ich glaube, dass sie gut bei ihm ankommen – so viel Engagement muss er ja eigentlich gut finden. Herr K. hört sich all das geduldig an und sagt dann mit einem spöttischen Lächeln (zumindest kam es mir in dem Moment spöttisch vor) einen Satz, der mir bis heute in den Ohren klingt:
„Herr Jorns, merken Sie sich eines: es gibt nichts Gutes – ausser man tut es.“
Ich hatte damals den Eindruck, dass ich der Einzige im Raum war, der den Satz so verstanden hat, wie er gemeint war: nämlich als schallende Ohrfeige. Für mich war der Tag gelaufen, aber das Ganze hat gefruchtet. Meine Wege haben sich in all den Jahren nach diesem Ereignis mit denen von Herrn K. immer wieder gekreuzt und irgendwann habe ich ihm für diesen mehr oder weniger subtilen „Stubser“ auch gedankt.
Wir spulen vor zur Gegenwart. Der Beginn eines neuen Jahres. Facebook ist voll von Statusmeldungen mit dem Tenor „dies und jenes will ich machen“ oder „alles was war, muss anders werden“. Ich verstehe in einem gewissen Maße den Drang zu Beginn des Jahres, Dinge zu hinterfragen und möglicherweise anders anzugehen, aber warum nicht einfach MACHEN? Und eventuell hinterher (!) davon zu berichten? Vielleicht sogar nie. Einfach MACHEN. Weil man es WILL. Weil man es KANN. Und weil man es LIEBT.
@mr.and.mrs.diverse (Instagram)
Ich bin im Bereich der künstlerischen Fotografie unterwegs und verdiene gleichzeitig meine Brötchen damit. Ein Spagat, der nicht immer einfach zu bewerkstelligen ist, aber ich komme gut klar. Vielen Dank der Nachfrage. Ich liebe, was ich tue. Und ich interessiere mich für die Arbeit der anderen. Und einiges gefällt mir. Beeindrucken tun mich regelmässig die KollegenInnen, die einfach „ihr Ding“ machen. Die nicht lamentieren, sondern MACHEN. Die Niemandem etwas neiden, sondern einfach ihr Ding machen. Die keine Like-Statistik führen, sondern MACHEN. Weil sie es offensichtlich LIEBEN. Und weil man das merkt. Und ich finde es schade, dass es nicht viel mehr von ihnen gibt.
Es gibt nicht wenige, die (mit gewissem Recht) sagen, dass man als Künstler natürlich seine Arbeiten ZEIGEN will und dass man sich vielleicht auch nicht davon freisprechen kann, dass man irgendwie nach likes (und somit Bestätigung) giert. Ich gehe beim ersten Teilsatz in Teilen mit, würde den zweiten Teilsatz aber schon relativieren wollen; denn es gibt durchaus Künstler, denen es völlig egal ist, ob andere ihre Arbeiten goutieren. Vielleicht sind genau diese Künstler sogar die einzig wahren (und damit gleichzeitig auch in vielen Fällen zu einem kargen Leben bei Wasser und Brot verdammt)? Weil sie ihre Befriedigung allein aus ihrem SCHAFFEN ziehen. Beispiele dafür gibt es in der Literatur, in der Malerei, in der Musik und in der Fotografie zuhauf (dazu gleich mehr).
Jetzt muss es nicht zwingend so radikal sein, wie ich es im letzten Absatz beschrieben habe, aber das andere Extrem – mehr reden als handeln und Befriedigung ALLEIN aus dem Feedback holen – ist sicher auch nicht das Wahre, oder? Denn – und das scheint vielen gar nicht klar zu sein: die Fotografie (insbesondere die künstlerische) ist ein Mikrokosmos, den viele Menschen nie in ihrem Leben betreten. Schlimmer noch: der ihnen schlicht egal ist! Wir, die wir uns in diesem Mikrokosmos tummeln, vergessen all zu oft, dass die breite Mehrheit mit diesem „Geknipse“ überhaupt nichts anfangen kann. Und deswegen ist die künstlerische Fotografie auch das falsche „Instrument“, um immerwährend und überall Applaus einzuheimsen. Fakt ist: Wenn Du Feedback/Klicks (und somit Zuspruch) brauchst, poste Bilder von Katzenbabys. Oder Hundewelpen. Oder Hundewelpen, die mit Katzenbabys spielen. Wenn Du aber die Fotografie liebst, wirst Du eine große Befriedigung aus dem blossen TUN ziehen. Und Du wirst es immer und immer wieder tun müssen. Du wirst genau diese Leidenschaft entwickeln und diese Liebe zu dem, was Du tust und was Du anstrebst, die einen wahren Künstler auszeichnet!
Während ich gestern noch über die weitere Ausformulierung meiner heutigen trivia nachgrübele, trudelte der Newsletter meines lieben Freund und Kollegen Bob Sala ein. Ihn umtreiben offensichtlich die gleichen Gedanken wie mich (und er unterfüttert das Ganze mit interessanten Beispielen aus der Weltliteratur). Und irgendwie wundere ich mich nicht darüber. Ich zitiere:
„trotzdem kommt das Werk immer vor der Rezeption. Und wer sich trotz ausbleibender Reaktion auf seine Arbeit nicht von der Schreibmaschine oder der Kamera loseisen lässt, ist in meinen Augen ein ebenso würdiger Künstler wie die, die man im Louvre findet.“
Bitte besucht seine Webseite und bestellt seinen wirklich sehr empfehlenswerten Newsletter: www.bob-sala.com (er hat seit Kurzem auch einen sehr hörenswerten Podcast!)
@mr.and.mrs.diverse (Instagram)
Die heutige trivia habe ich mit musikalischen Tipps aus deutschen Landen gespickt – mit Songs, die mir sehr am Herzen liegen und mit Videos, die ich sehr inspirierend finde („Weisses Papier“ zum Beispiel gehört für mich zum Schönsten, was jemals in deutscher Sprache gesungen wurde). Abschliessen möchte ich mit einem Typen, den man einfach lieben muss. Von einem Album, das man zwingend besitzen sollte. Mit einem denkwürdigen Auftritt, dem ich beiwohnen durfte. Und einer Songzeile, die ich einfach mal dem neuen Jahr 2019 widme:
„in ein paar wenigen Minuten,
an diesen ganz besonderen Tagen,
ist die Welt gar nicht so scheisse,
wie die alle immer sagen“
In diesem Sinne: haltet die Ohren steif und bleibt mir gewogen!
Cheers!
Andreas