Foto: Yasemin Roos
aj’s trivia*
(Folge 95)
*trivia: „wissenswerte Kleinigkeiten, „dies und das, manchmal auch Kurioses“ [Wikipedia]
Montag, 8. April. Der Tag, an dem ich den 100. Song zu meiner „under the radar“ – Playlist auf Spotify (Link siehe unten) hinzugefügt habe. Wie sich das für Song #100 gehört, ist es natürlich was ganz Besonderes. Ich schätze, so ungefähr hat sich Dschingis Khan Metal-Musik vorgestellt. Mit Geräuschen, bei denen ein Normalsterblicher nicht weiss, wo die eigentlich herkommen. Das, was da aus den Kehlen der Sänger kommt, klingt stellenweise wie ein menschgewordenes Didgeridoo. Irgendwie verstörend, aber gleichzeitig auch unheimlich faszinierend. Aber hört selbst (LAUT!) …:
Kennt Ihr das? Wenn Ihr im Café sitzt und unweigerlich Zeuge des Gesprächs am Nebentisch werdet. Einem Gespräch, das Ihr gar nicht hören wollt und das zunehmend nervt, weil es a) belanglos oder b) völlig sinnbefreit oder c) beides ist. Wie irritierend es zudem ist, dass sich in den meisten Fällen die Formel bewahrheitet „je weniger ein Mensch zu sagen hat, desto lauter tut er es“. Ich schaffe es zum Glück meistens, meine Ohren auf Durchzug zu schalten, aber es gibt eine Sache, bei der ich einfach nicht weghören KANN. Wenn Menschen regelmässig und dauernd einen Begriff verwenden, der absolut nicht zu dem passt, was sie eigentlich sagen wollen. So genannte Fremdworte können da schon manchmal ziemlich tückisch sein, aber das Phänomen ist natürlich nicht auf Fremdworte beschränkt. Macht zum Beispiel mal eine Google-Bildersuche für den Begriff „authentische Porträts“ (oder besser „authentic portraits“. Schaut Euch das Ergebnis an und fragt Euch dann (völlig zu Recht) WTF???
Vor einiger Zeit hatte ich ein längeres Gespräch mit einer Fotografin, die während unserer Unterhaltung immer wieder betonte, wie wichtig ihr das Storytelling in ihren Arbeiten sei, was ich dankbar zur Kenntnis nahm, weil ich diesbezüglich ganz ähnlich denke. Vielleicht überstrapazierte sie das Wort „Storytelling“ etwas (nach einem Dutzend mal habe ich aufgehört zu zählen), vielleicht war es auch nur so eine Eingebung, aber ich bat sie irgendwann, mir mal ein paar Beispiele ihrer Arbeiten zu zeigen. Was dann folgte, hat mich verblüfft, da sie mir daraufhin ca. ein Dutzend Kopf-/Brust-Porträts schöner Frauen zeigte – z.T. eher dem Genre Beauty-Fotografie zuzuordnen. Sehr gut gemacht, keine Frage, aber ich fragte erst mich und dann sie, was sie eigentlich genau mit dem Begriff „Storytelling“ meint, den sie in unserem Gespräch so häufig verwendete. Sie erwiderte, dass es für sie halt sehr wichtig sei, zu ihren Bildern kleine Geschichten zu erzählen, die sie dann bei der Veröffentlichung dazu schreibt. Geschichten, wie die Bilder entstanden sind, welche Stimmung während der Aufnahmen herrschte oder einfach nur, was sie selbst bei der Foto-Session oder im Anschluss beim Betrachten der Bilder empfunden hat.
Wenn ich sage, dass ich ob dieser Antwort verblüfft war, ist das noch dezent untertrieben. Ich erhebe beileibe nicht den Anspruch der Deutungshoheit, was die verschiedenen Begrifflichkeiten angeht, aber ich müsste mich schwer irren, wenn „Storytelling“ in der Fotografie so gemeint sein sollte.
Es kommt noch ein anderer Aspekt hinzu: ich bin ein Anhänger der These, Bilder sprechen zu lassen. Bilder ERZÄHLEN zu lassen! Und genau DAS meint „Storytelling“ ja: Bilder, die eine Geschichte erzählen. Und eben nicht „ich erzähle Euch mal, was ich bei der Aufnahme gedacht/gefühlt/gemeint habe“! Ich finde es gut, wenn man den Betrachtern die Interpretationshoheit gibt! Wenn man den Betrachtern mit den Bildern Raum für eigene Überlegungen gibt! Solche Interpretation – egal wie sie schlussendlich ausfallen – sind übrigens immer „richtig“ – einfach freundlich nicken und bestätigen, dass es genau so gemeint SEIN KÖNNTE … ;)
Ich mag Bilder/Bildstrecken/Bildbände, die nicht alles auserzählen. Die aber so viel fotografische Substanz haben, dass man sich an ihnen abarbeiten kann als Betrachter. Genau so geht es mir bei Lyrics zu Musik-Songs. Texte, die mehr sind als „sie liebt ihn und er sie nicht – deswegen ist sie traurig … shalalala …„. Oder Filme, die ein Ende haben, wo ich wenigstens noch ein kleines bisschen Phantasie walten lassen kann. Wie gruselig sind diese Filme, die ein Dutzend loser Erzählstränge haben und in den letzten 10 Minuten alles – aber auch wirklich ALLES – auflösen. Am Besten zur Zufriedenheit aller Zuschauer (= Happy End) … grusel … Stellt Euch doch mal vor, Leo hätte den Untergang der Titanic überlebt (und alle anderen Passagiere gleich mit)! Wie laaaaaangweilig …
Bilder sollen bestenfalls berühren, aber das kann eben auch bedeuten, dass sie den Betrachter verstören. Oder ratlos zurück lassen. Dazu braucht es den Mut, das Selbstbewusstsein und das künstlerische Verständnis des Fotografen bzw. der Fotografin, zu abstrahieren. Den Bildern den physischen und psychologischen Raum zu geben, damit der Betrachter etwas zu „kauen“ und zu „verdauen“ hat. Wenn man das schafft, ist es sogar möglich, mit nur EINEM Bild eine Geschichte zu erzählen. Ganz ohne Zusatz-„Geschreibsel“. Und genau das nennt man dann „Storytelling“. Das gelingt sicher nicht immer. Aber wenn es hin und wieder gelingt, ist das etwas ganz Wunderbares. Finde ich …
Diese Woche gibt’s zwei besondere Musik-Tipps – zwei „Perlen“ aus meinem Plattenschrank und die zweite Perle ist ein großartiger Künstler namens Michael Kiwanuka mit einem Live-Mitschnitt aus dem Aufnahmestudio. 8 Minuten wunderbare Musik und wenn man nach 5 Minuten schon selig mitsingt, kommt mit dem knapp zweiminütigen Gitarrensolo noch mal die Kirsche obendrauf. Ich bin mit der Musik der 70er Jahre aufgewachsen. Mit Gitarrensoli bekommt man mich … aber so richtig!
In diesem Sinne: haltet die Ohren steif und bleibt mir gewogen!
Cheers!
Andreas