aj’s trivia (#91) – Februar 2019


 
Foto: Yasemin Roos
 
 
aj’s trivia*
(Folge 91)
 
*trivia: „wissenswerte Kleinigkeiten, „dies und das, manchmal auch Kurioses“ [Wikipedia]
 
Letzte Nacht wurden die Oscars verliehen und ich bin froh, dass mir der Besen zum Frühstück erspart geblieben ist. Herzlichen Glückwunsch, Lady Gaga! (und vielen Dank an die Academy! ;))
 
Einen Oscar für den besten Film gab es für „Green Book“ und es ist seit vielen Jahren das erste Mal, dass ich einen Oscar-prämierten Film bereits vor der Verleihung gesehen habe. Erst vor wenigen Tagen war ich mit der besten Ehefrau von allen im Kino – einem kleinen schnuckeligen Programmkino in Berlin. Zwei Filme gab’s zur Auswahl und die Entscheidung fiel uns beiden nicht schwer. Wenn ich in einer Filmbeschreibung „Road Movie“ lese, ist mein Interesse schlagartig geweckt. Ich liebe diese Art Filme und ich habe mich schon des öfteren gefragt, woran das liegen mag. Und als ich am vergangenen Freitag aus dem Kino kam (emotional ziemlich aufgewühlt), wurde es auf einmal völlig klar. Road Movies beschreiben in aller Regel die Geschichte einer Reise (sowohl im wahrsten als auch im übertragenen Sinne). Im Gegensatz zu Filmen, in denen es darum geht, dass am Ende das Gute gegen das Böse siegt (oder umgekehrt), der Bösewicht entlarvt und gefangen wird (oder auch nicht) oder sie ihn bekommt oder er sie oder er ihn oder sie sie (Ihr versteht schon), bezieht ein Road Movie seine „Spannung“ aus der Reise an sich. „Der Weg ist das Ziel“ heisst es oft und mit einem Mal war mir klar, warum mich das so berührt: es beschreibt das Leben! Unser Leben!
 
Vielleicht muss man sich das hin und wieder vor Augen halten, aber sind wir wirklich auf die Welt gekommen, um etwas zu erreichen? Um irgendwo anzukommen? Oder geht es nicht vielmehr darum, das Leben an sich zu leben? Die Glücksmomente zu geniessen und die Schicksalsschläge irgendwie auszuhalten. Ohne ständig darüber nachzudenken, was „als nächstes“ kommt. Würde uns allen nicht hin und wieder etwas „laissez faire“ gut tun? Und die Besinnung darauf, was wirklich wichtig ist?!
 

 
Gestern waren die beste Ehefrau von allen und ich im Eiscafé. Sonntag, strahlender Sonnenschein, 17°C (Ende Februar!) und lecker Eis: was für eine wunderbare Kombination! Das Eiscafé war brechend voll – sämtliche Plätze waren belegt. Das Personal war am Rotieren. Nach einer Viertelstunde haben wir einen Platz in der Sonne ergattert und wir haben uns gefreut. Die Bedienung kam nach einer weiteren Viertelstunde, nahm die Bestellung auf und entschuldigte sich dafür, dass es etwas länger dauerte („Sie sehen ja, was hier los ist“). Wir erwiderten, dass das für uns überhaupt kein Problem sei, schliesslich seien wir nicht auf der Flucht und überhaupt könne man es in der Sonne ja ganz gut aushalten – was sie ziemlich verblüffte, weil die meisten anderen Gäste ganz anders reagieren. Worauf hin wir in der Folge beobachteten, was sich an den Nachbartischen tat und das war wirklich erschreckend. Offensichtlich haben die meisten Menschen wirklich vergessen, wie man die schönen Dinge des Lebens geniesst. Da werden die Minuten exakt protokolliert, die zwischen Bestellung und Lieferung der Eisbecher vergehen, es wird sich beklagt, dass der Tisch wackelt, die Stühle nicht gepolstert sind und das Abkassieren so lange dauert. An einem solchen Traumtag wie gestern. Es ist wirklich nicht zu fassen …
 

 
Vor wenigen Tagen habe ich seit längerem mal wieder ein aktuelles Ergebnis von meinen Arbeiten online gezeigt – ich hab eine längere (kreative) Pause hinter mir und jetzt gab es also etwas Neues zu zeigen. Ich bekam unter anderem eine Handvoll Kommentare, die ich der Kategorie „bittersüsse Komplimente“ zuordnen würde – unter dem Bild stand:
 

    „eines Deiner Besten“

 
Mit Sicherheit sehr nett gemeint und dennoch ein kleiner Stich in’s Herz. Und zwar nicht nur wegen des Offensichtlichen („meint er/sie damit, dass meine anderen Arbeiten Sch**** sind?„), sondern vor allem wegen der absoluten Formulierung, die weit über die einer persönlichen Meinung hinausgeht. Ich kann für MICH feststellen, dass dies oder jenes Bild eines Künstlers MIR am Besten gefällt, aber das war’s dann auch, finde ich. Unsere Meinungen und Einschätzungen sind stets subjektiv und eben NICHT allgemeingültig. Und das ist auch gut so; denn eine Allgemeingültigkeit gibt es nach meinem Dafürhalten in der Fotografie nicht.
 

 
 
Je länger ich mich mit der Fotografie (sowohl mit meiner eigenen als auch mit der von anderen Künstlern) beschäftige, desto weniger kann ich dem Duktus „beste/grösste/schönste“ etwas abgewinnen. Weil es nämlich impliziert, dass man Fotografie in Ranglisten packen kann und das halte ich für falsch. Ich kann feststellen, wer der schnellste Mann der Welt ist – dafür brauche ich nur eine Stoppuhr. Oder die schwerste Frau der USA – dafür brauche nur eine Waage. Ich kann feststellen, welche Songs im letzten Jahr am häufigsten runtergeladen und/oder gestreamt wurden (und damit den Glauben an die Menschheit verlieren), aber ich kann NICHT feststellen, welches der beste Song im letzten Jahr war. Wie soll ich das messen? Wen soll ich da fragen? Und ähnlich ist es in der Fotografie.
 
Und NEIN: hinsichtlich der Bewertung ist weder die Musik noch die Fotografie demokratisch; denn das würde bedeuten, dass Helene Fischer bessere Musik als Tom Waits macht – schliesslich verkauft sie in Deutschland mehr Platten als er. Es bedeutet lediglich eines, nämlich, dass die Musik von Helene Fischer in Deutschland mehr Menschen gefällt als die von Tom Waits. Nicht weniger, aber eben auch nicht mehr!
 

 
Vor ein paar Wochen habe ich mein Artbook „Friday’s Child“ veröffentlicht und ich habe sehr viel Feedback erhalten. Unter anderem die beiden folgenden Aussagen:

  1. „Andreas, das ist das Beste, was Du bisher gemacht hast!“
  2. „Andreas, das ist leider das Schlechteste, was Du bisher gemacht hast!“

 
Da sind sie wieder, diese absoluten Aussagen und im Geiste ergänze ich immer um „ich persönlich finde, dass …„; denn als persönliche Meinung formuliert, kann ich mit so einem Feedback sehr gut leben – tatsächlich auch mit dem negativen. Tatsächlich freue mich über jedes (!) Feedback, weil es mir in aller Regel zeigt, dass sich Jemand mit meiner Arbeit auseinandergesetzt hat und er sich die Zeit nimmt, mir seine Eindrücke mitzuteilen. Und wie erwähnt mag ich es am allerliebsten, wenn es tatsächlich als Meinung formuliert wird – und nicht als Feststellung …
 
„Friday’s Child“ hat polarisiert, aber warum eigentlich? Was habe ich eigentlich gemacht? Ich habe einen Bildband (Artbook) veröffentlicht, der „anders“ ist als meine bisherigen. Dass dieses „anders“ für eine derartige Polarisierung sorgt, ist schon etwas verblüffend (wenn auch nicht ganz unerwartet). Die Menschen lieben es oder sie hassen es. Dazwischen scheint es nichts zu geben. Ich erlebe das bei meiner Arbeit zum ersten Mal in dieser ausgeprägten Form und jetzt kommt der Punkt …. ICH LIEBE DAS! Denn es ist doch so: am Schlimmsten ist es, wenn es den Menschen EGAL wird. Wenn sie aber hingehen und mir entweder positive oder negative Nachrichten schreiben, gipfelnd in der Frage, ob „was mit dem Gin nicht in Ordnung war, den ich auf Island getrunken habe“ (die Wahrheit ist: ich habe gar keinen Gin auf Island getrunken – ich konnte es mir schlicht nicht leisten …^^), dann ist das das Gegenteil von Desinteresse. Und das finde ich gut!
 
Das nächste Artbook wird wieder völlig anders – näher an meinen bisherigen Arbeiten – und schon umtreibt mich die Sorge, dass dies als Zugeständnis an meine Kritiker bewertet wird; denn dem ist nicht so: „Friday’s Child“ und „INVITED“ wurde am gleichen Tag gedruckt – die Arbeiten an „INVITED“ haben sogar drei Monate früher stattgefunden.
 
Warum nicht das eine tun können ohne das andere zu lassen? Muss man wirklich immer das Gleiche machen, um die Erwartungen zu bedienen? Natürlich sind das rhetorische Fragen, die ich für mich längst beantwortet habe. Ich liebe es, wenn die Wege nicht schnurgerade sind, sondern mal in die eine und mal in die andere Richtung gehen. Dabei geht es nicht darum, irgendwelchen Trends hinterherzulaufen. Das passt eh nicht zu mir. Ich bin gern der Vokuhila der Fotografie – schliesslich laufe ich auch die Hälfte des Jahres in kurzen Hosen rum. Die „Kurven und Spitzkehren“ sind aus einem anderen Grund wichtig: sie schärfen die Sinne und machen Spass. Manchmal ist es wirklich so einfach.
 
In diesem Sinne: haltet die Ohren steif und bleibt mir gewogen!
 
Cheers!
Andreas
 
 
Meine heutigen Musiktipps findet Ihr auch in meiner Spotify-Playlist „Under the radar“ – viel Spass!