aj’s trivia (#82)

Foto: Yasemin Roos
 
aj’s trivia*
(Folge 82)
 
*trivia: „wissenswerte Kleinigkeiten, „dies und das, manchmal auch Kurioses“ [Wikipedia]
 
Kürzlich kommentierte Jemand meine letzte trivia mit den Worten „Fotografisch ist bei Dir ja echt noch Luft nach oben! Aber was Du so an wahren Schätzen der Musik Woche für Woche präsentiert grenzt an Genialität!“ und wisst Ihr was? Ich habe mich über die Aussage echt gefreut; denn a) stimmt der erste Teilsatz ja total (wenn es irgendwann anders sein sollte, müsste ich ja meine Kamera an den Nagel hängen) und b) ist der zweite Teilsatz ein wirklich schönes Kompliment.
 
Und es ist ja wirklich so: es bereitet mir jedes Mal eine diebische Freude, Musik die ich mag, Anderen näher zu bringen. Es ist oft so, dass ich sogar damit rausplatzen MUSS, weil ich nicht verstehen kann, wie man den oder die NICHT kennen kann. Dabei geht’s mir ja oft genau so. Da entdecke ich mal eben mit 20 Jahren Verspätung eine Band, die ich wirklich gern mal live gesehen hätte (sie sich aber längst aufgelöst hat – dazu später mehr). Ich weiss nicht mehr, wo und wie ich „16 Horsepower“ das erste mal hörte, aber ich weiss noch, dass ich mich fragte, was das eigentlich für eine Art Musik ist. Laut einschlägiger Webseiten handelt es sich um einen Mix aus „Alternative Country und Goth Rock mit einem Schuss Hillibilly“ – ich schätze, wenn ich diese Beschreibung vorher gelesen hätte, hätte ich einen grossen Bogen um diese Musik gemacht. Hab ich aber nicht und momentan läuft sie mal wieder in Dauerrotation bei mir. Drei Songs von 16 Horsepower habe ich Euch für heute mitgebracht – als erstes genau DEN Song, der dafür sorgte, dass mir beim Hören sprichwörtlich „das Blech wegflog“ …
 

 
Kommen wir zu meiner Fotografie: „Luft nach oben“, verstanden als die Möglichkeit sich weiter zu entwickeln, finde ich wirklich wichtig bei dem, was ich tue. Wenn ich das Gefühl hätte „das ist es jetzt – mehr geht nicht“ wäre das unheimlich frustrierend, schätze ich und ein grosser Teil meines Antriebs (und meiner Freude an der Fotografie) ist genau auf diesen Umstand zurück zu führen. Das Gefühl zu haben, dass immer noch ein bisschen „mehr“ geht. Nicht mehr Verkäufe (auch schön) oder mehr Geld (nicht zu verachten), sondern „mehr“ im Sinne von Weiterentwicklung – sowohl künstlerisch als auch persönlich. Und das als alter Sack, der ich nunmal bin. Das macht mir Mut; denn wer sagt, dass das irgendwann mal aufhören muss?
 
Diese ständige Weiterentwicklung hat natürlich auch eine Kehrseite – was tun … wie umgehen mit den zurückliegenden Arbeiten? So absurd die Sachen (in der rückwärtigen Betrachtung) auch sind, die ich mal gemacht habe – es käme mir nicht in den Sinn, sie zu verleugnen oder auch nur peinlich zu finden (auch wenn natürlich die ganz alten Sachen im Giftschrank liegen.^^). Es ist wie es ist – Künstler, die bereits zu Beginn ihrer Karriere begnadet waren, sind völlig zu recht reich und berühmt (hoffentlich). „Der Mensch ist die Summe seiner Erfahrungen“ hat mal jemand Schlaues gesagt und so ist es auch mit uns Fotografen. Alles prägt – vor allem die Dinge, die wir mal fotografiert haben. Die wir vielleicht mal gut fanden. Die wir aber vielleicht nur ausprobiert haben, um festzustellen, dass sie uns vielleicht doch nicht taugen. Für die persönliche Entwicklung ist es ja auch gar nicht schlecht, mal alles ausprobiert zu haben und dabei hin und wieder auch mal falsch abgebogen zu sein. Menschen mit allzu geradem Lebenslauf sind zu bedauern – Irrungen und Wirrungen gehören dazu … finde ich.
 
 

 
Und überhaupt: wer sagt denn, dass die früheren Sachen schlechter sein müssen als die neuen? Besteht nicht die eigentliche Tragik darin, dass es bei vielen – durchaus gut dastehenden – Künstlern mittlerweile längst anders herum ist? Wie also sollte man peinlich berührt sein, wenn einem alte Bilder von sich in die Hände fallen. „Alter, wenn es irgendwann so ist, dass Du Dein altes Zeug mehr feierst als Dein neues, ist das doch viel schlimmer, oder?“ möchte ich da nur ausrufen. Know what I mean?
 
Ich habe in diesem Jahr meinen dritten Bildband namens „come undone“ veröffentlicht – der ein oder andere hat’s vielleicht mitbekommen (sic!). Ich halte diesen Bildband für den besten, den ich bisher gemacht habe. Das könnte man für Marketing-Sprech halten, denn man kennt das ja: jeder Musiker hält seine neue Platte für die beste – genau so wie jeder Autor sein neuestes Buch und jeder Fotograf also sein neuestes Werk. Manchmal möchte man da laut fragen „REALLY?„, aber in meinem Fall meine ich das ernst. Und ich denke, es stimmt auch bei objektiver Betrachtung – was ja auch gut ist (siehe meine Ausführungen weiter oben). Was aber bedeutet das für die beiden Bildbände, die ich davor gemacht habe? Heisst das, dass die dadurch irgendwie „schlecht“ oder „minderwertig“ sind? Natürlich heisst es das NICHT und ich schwöre, dass ich sowohl „UNINVITED“ als auch „UNMASKED“ immer noch liebe!
 
„UNINVITED“ … herrje … mein Erstling und allein deswegen schon wird dieser Bildband immer in meinem Herzen sein. Auch wenn ich heute viele Dinge anders machen würde und einiges gar nicht mehr (z.B. das Layout selbst machen^^) – ich mag ihn immer noch und könnte ihn auch immer noch ruhigen Gewissens verkaufen (wenn er nicht schon längst ausverkauft wäre).
 
Genau so „UNMASKED“ – die „schwierige zweite Platte“ um mal wieder den Vergleich zur Musik zu ziehen. Mit diesem Bildband habe ich mich freigeschwommen. Ich habe mich fotografisch weiterentwickelt und auch viele gestalterische Fehler aus dem ersten Bildband vermieden. Der Mensch wächst mit den Herausforderungen und er lernt aus seinen Fehlern. So war es definitiv bei mir. Ich habe erst vor wenigen Tagen zum ersten Mal nach längerer Zeit „UNMASKED“ in die Hände genommen und komplett durchgeblättert und ich war überrascht. Wenn man bedenkt, dass ich damals noch keinen Art Director hatte (Matthes hat gesagt, dass das besser beschreibt, was er tut, als wenn ich immer nur Grafikdesigner schreibe, daher mache ich das jetzt einfach mal so^^), ist das schon mehr als okay und die Bilder von Bernadette sind eh zeitlos …
 
Da ist noch kein Rost dran und kein Schimmel. Das kann sich immer noch sehen lassen. Und deswegen bin ich auch immer noch stolz drauf und die Verkaufszahlen zeigen, dass das viele Menschen genau so sehen, denn der Bildband verkauft sich immer noch sehr ordentlich. Worauf man aber bei mir ganz sicher warten kann, bis man schwarz wird (mein Political-Correctness-Berater hat gesagt, dass man das schreiben darf) sind irgendwelche Rabatt-Aktionen. Eher tapeziere ich meine Kellerwände mit den Bildern als dass ich meine Print-Publikationen unter dem Motto „50% auf alles (ausser Tiernahrung)!“ verkaufe. Niemals nicht! Never ever! BASTA!
 
Das Teufelchen auf meiner linken Schulter flüstert mir gerade in’s Ohr, dass das alles ja ziemlicher Quatsch ist, weil ich ja streng genommen gerade eine Rabatt-Aktion in meinem Shop habe, aber erstens irrt da das Teufelchen und zweitens habe ich diese Aktion nur deswegen, weil ich zwar irgendwann mal 100 Shirts mit meinem Lieblingsspruch gekauft, dann aber beschlossen habe, dass ich sie doch nicht verkaufen will, weil ich nicht unter die Merch-Händler gehen will. Also müssen sie eben so weg … ;)
 
In dem nachfolgenden Clip kann man sich ein Bild von dem Typen machen, der hinter der Band 16 Horsepower steckt. David Eugene Edwards heisst er und er hat später die (immer noch existierende) Band Wovenhand gegründet – zu denen komme ich später auch noch …
 
 

 
Eine letzte Anmerkung zum Thema „Weiterentwicklung“: es eignet sich auch ganz wunderbar für eine Gegenüberstellung von Bildern aus alter und neuer Zeit – genau DAS habe ich bei einer Publikation gemacht, die ich gerade für eine Veröffentlichung im nächsten Jahr aufbereite. Pünktlich zu meinem Geburtstag lüfte ich das Geheimnis … :)
 
Es gibt übrigens durchaus so Sachen, die man wirklich nicht mehr zeigen mag, weil man das Gefühl hat, dass sie aus einem komplett anderen Leben stammen. „DAS kann ich doch wirklich unmöglich jemals fotografiert haben!“ – so oder so ähnlich schoss es mir durch den Kopf als ich tief in’s Archiv gestiegen bin, um für einen Freund eine alte Aufnahme rauszusuchen. Alles was man falsch machen kann in einem Bild – das muss man so auch erst mal hinbekommen. 10 Jahre war es her und alles was geht, wurde genutzt. Zuviel MakeUp, zu viel Licht und viel (!) zu viel Photoshop. Und ein viel (!) zu grosses Logo – obszön gross! Man war ich stolz damals. Und heute? Ich sag mal so: vieles von dem, was ich heute mache und voller Überzeugung vertrete, mache ich, weil ich früher genau SO ETWAS gemacht habe. „Ich war jung und brauchte das Geld“ zieht hier nicht (es gab kein Geld dafür). Ich habe keine Entschuldigung dafür. Ausser „those were the days“ …^^
 
 

 
Ja, fotografisch habe ich noch Luft nach oben, aber vielleicht nicht mehr ganz so viel wie vor 10 Jahren (und dafür bin ich dankbar) … ;)
 
In diesem Sinne: haltet die Ohren steif und bleibt mir (trotzdem) gewogen!
 
Cheers!
Andreas