Foto: Yasemin Roos
aj’s trivia*
(Folge 74)
*trivia: „wissenswerte Kleinigkeiten, „dies und das, manchmal auch Kurioses“ [Wikipedia]
Sonntag Nachmittag. Ich sitze auf der Couch (was für ein Segen, dass ich dank meines neuen MacBooks endlich nicht mehr an Schreibtisch „gefesselt“ bin) und bemühe mich, so langsam wieder in’s „normale“ Leben zurückzufinden. Vier Wochen liegen hinter mir, die zu den spannendsten, anstrengendsten und berührendsten in meinem fotografischen Leben gehören. Vier Wochen „come undone“ Bildband-Tour, der ich in Kürze einen gesonderten Artikel widme, weil sie so wichtig war. Aber erst mal muss ich all die Gedanken, Eindrücke und das ganze Feedback ordnen, das sich in meinem Kopf stapelt. Die wichtigste Frage, die sich mir für heute (und das bereits seit längerem) stellt:
WIE GEHT’S WEITER?
In Kürze geht’s in den Urlaub. Zwei Wochen Italien und die beste Ehefrau von allen und ich freuen uns wie Bolle. Im Urlaub habe ich Zeit. Zeit zum Runterkommen, Zeit zum Abschalten und Zeit den geistigen Akku wieder aufzuladen. Und Zeit zu Überlegen, wie es weiter geht. Mit den nächsten Projekten, mit den nächsten Veranstaltungen und mit den nächsten Workshops. Zu den Workshops kann ich heute schon etwas erzählen. Für dieses Jahr ist seit Längerem alles ausgebucht und so häufen sich natürlich die Nachfragen, für wann ich denn die nächsten plane. Für dieses Jahr keine zusätzlichen mehr – soviel ist klar. Und nächstes Jahr? Eine wichtige Entscheidung ist für 2019 gefallen: nächstes Jahr geht’s zum ersten Mal NICHT in’s Ausland – keine Fotoreisen, keine Workshops auf Mallorca oder wo auch immer. Der Grund: meine Auslandsveranstaltungen habe ich stets gemeinsam mit der besten Ehefrau von allen bestritten – sie hält mir den Rücken frei, sie kümmert sich an allen Ecken und Enden wo ich nicht sein kann und das ist wunderbar so (und sie macht das auch sehr gern). ABER … das alles geht natürlich von ihrem Jahresurlaub ab – im Gegensatz zu mir geht sie ja einem „seriösen“ Beruf nach^^- und das hat in den letzten Jahren dazu geführt, dass wir beide nicht so viel gemeinsamen Urlaub machen konnten wie wir es gern gehabt hätten (und jeder wird verstehen, dass es nicht ganz das Gleiche ist, ob man zu Zweit auf Mallorca ist oder gemeinsam mit anderen Fotografen und Models). Nächstes Jahr hat die beste Ehefrau von allen runden Geburtstag und das nehmen wir zum Anlass, um mal wieder ganz viel Urlaub zu Zweit zu machen – und da freue ich mich drauf. Und das bedeutet ja auch nicht, dass ich nächstes Jahr keine Workshops anbiete – es wird sogar eine echte Neuerung geben. Auch wenn es vielleicht von Jahr zu Jahr etwas weniger davon gibt: Workshops werde ich weiterhin geben, denn es macht mir sehr sehr viel Spass! Und mindestens genau so wichtig: gerade durch die Workshops lerne ich jedes Jahr so viele interessante Menschen kennen, die nicht selten genau „verrückt“ sind wie ich. Und mit denen ich hin und wieder auch über die Workshops hinaus Kontakt pflege (meinen best buddy Jürgen habe ich genau so kennengelernt). Einer von diesen „bekloppten Hunden“ ist Tobias, den ich letztes Jahr in Venedig kennengelernt habe. Ein sympathischer Kerl, der zunächst reichlich introvertiert daher kommt, aber ich schätze, das täuscht ein wenig. Von Tobias bekomm ich vor Kurzem Post – ein Päckchen mit kleinen Geschenken, die mein Herz erwärmt haben (dazu gleich mehr) und einem Brief, der mich zunächst nur Schmunzeln liess – irgendwann war es dann ein lautes Lachen. Ich zitiere mal …:
„ […] weiterhin habe ich neue Erkenntnisse zu meinem Hobby der Fotografie erlangt. Ich weiss jetzt ganz genau, was ich für Bilder machen möchte und auch, dass es fast unmöglich sein wird, dies zu tun.
Ich müsste dafür jung sein, ständig neu verliebt und somit in wechselnder weiblicher Begleitung auf Reisen und in coolen Hotels und Künstlerwohnungen abhängen und ganz nebenbei und ultralässig ab und zu mal den Auslöser drücken. Selbstverständlich wäre rauchen okay und das Tragen von Kleidung eher unwichtig und als Kamera würde ich die neue CL mit dem Elmarit-M 28 2.8 verwenden. Ich bräuchte diese Tiefenschärfe, weil ja alles ein Tagtraum wäre und fokussieren sich dadurch schwierig gestaltet. Mein Geld bekäme ich von irgend einer Agentur und wenn es notwendig wäre auch immer mal einen Vorschuss in ungedeckelter Höhe. Ich hätte auch kein Telefon und keine Uhr, ich würde Briefe schreiben und auf Vorsorgeuntersuchungen verzichten. Ich wäre ja jung.
… und … ich würde behaupten, ich wäre Ungar!
PS: ich bestelle mir jetzt so ein Elmarit und lasse mir die Haare lang wachsen. Ab morgen fange ich an zu trinken. Wird schon …!“
Im Päckchen gab’s unter anderem eine Vinylplatte. Eine Filmmusik aus dem Jahr 1968 von Serge Gainsbourg und auch das hat so was von meinen Geschmack getroffen, dass ich davon einen Song für meine heutige trivia ausgesucht habe:
A pro pos Mallorca: im April war ich ja zuletzt dort und während meines Aufenthalts habe ich meinen Kollegen Martin Krolop besucht. Martin hatte ich mich „überredet“, eine Live-Sendung mit ihm zu machen und ich muss auch mit ein paar Wochen Abstand sagen, dass es die goldrichtige Entscheidung war, seiner Einladung zu folgen. Der Tag hat einfach unheimlich viel Spass gemacht und wer damals nicht live dabei war, bekommt mit dem nachfolgenden Clip einen klitzekleinen Einblick in den Spass, den wir gemeinsam hatten:
Wenn Ihr jetzt neugierig auf die komplette Sendung (fast 5 Stunden!) seid: bis zum 16.8. könnt Ihr sie im Krolop-Gerst-Store mit 20% Rabatt bekommen – gebt einfach den Rabatt-Code „comeundone“ ein!
Kommen wir zu einem anderen Thema: ich bin ja ziemlich gesegnet … regelmässig erhalte ich positives Feedback zu meinen Arbeiten. Viele Zuschriften, aber auch – wie jetzt zuletzt auf der Tour – persönlich von Angesicht zu Angesicht. Und dabei geht es (zum Glück) natürlich nicht um technische Dinge wie Bildaufbau, Schärfe und Colorgrading (alles Disziplinen, in denen ich wahrscheinlich regelmässig versagen würde), sondern um Stimmungen und Emotionen. Darum, dass sich viele Menschen angesprochen und vielleicht sogar inspiriert fühlen von meiner Fotografie. Mich macht das unheimlich stolz, dankbar und demütig und ich bedanke mich dafür! Denn es bedeutet mir sehr viel! AAAAABER … es geht auch anders – das will ich an dieser Stelle nicht verheimlichen. Wie zum Beispiel in der letzten Woche. Da wurde mir von einem lieben Menschen ein Feedback zugetragen, das mir nicht selbst zugetragen wurde (schade eigentlich), sondern das vielmehr ÜBER mich (und ein paar andere Kollegen) formuliert wurde:
„Das, was Ihr macht, das ist Pornografie! Da ziehen sich junge Mädchen vor alten, hässlichen Männern aus und lassen sich fotografieren! Für mich ist das Pornografie! Und ich lass mich von dieser Meinung auch nicht abbringen!“
Ich darf an dieser Stelle versichern, dass mich eine solche Einzelmeinung (auch wenn ich weiss oder zumindest ahne, dass es keine Einzelmeinung ist) nicht um den Schlaf bringt – wirklich nicht! Bei direkter Ansprache hätte ich vielleicht trotzdem versucht, mich zu erklären oder zumindest eine Diskussion in Gang zu bringen. Was ich wirklich befremdlich finde, ist ein ganz bestimmter Aspekt in dieser Aussage – und dabei meine ich nicht, dass man mich als alt und hässlich bezeichnet …^^ Der Nachsatz „und ich lasse mich von dieser Meinung auch nicht abbringen“ zeigt sehr deutlich, dass es dieser Person überhaupt nicht um eine Auseinandersetzung mit diesem Thema geht. Da wird eine (durchaus streitbare) These formuliert, einfach mal an den Kopf geworfen und fertig! Was sind das für Menschen, frage ich mich da? Wie intolerant und unaufgeschlossen kann man eigentlich sein? Und ist dieser Person eigentlich klar, dass sie nicht nur mich, sondern auch die Menschen vor meiner Kamera beleidigt? Und dass sie die (Akt)-Fotografie als Ganzes in den Dreck zieht? Mich persönlich bestärkt eine solche Starrsinnigkeit eher darin, meinen Weg weiterzugehen und zu versuchen, mit meiner Fotografie die Bornierten und Verklemmten vielleicht doch irgendwann zu erreichen – und ggf. umzustimmen. Zu zeigen, dass Nacktheit kein „Schweinkram“ ist – sondern das Natürlichste der Welt. Und es gehört zu uns Menschen. Und solange es selbstbestimmte Menschen sind, die da vor meiner Kamera stehen, sollte es KEINE Mitmenschen geben, die sich darüber das Mail zerreissen … oder?
Sollte das alles nicht ausreichen als Argumentation, werde ich meine Strategie ändern: ich fotografiere einfach keine nackten jungen hübschen Frauen mehr, sondern nackte alte hässliche Männer …^^
Zum heutigen Abschluss noch etwas Erfreuliches: seit üb er 20 Jahren bin ich begeisterter Leser des „Schwarzweiss“ Magazins aus dem Tecklenborg Verlag. Ja, es gibt tatsächlich ein Fachmagazin, das sich ausschließlich der Schwarzweiss-Fotografie verschrieben hat und das in einer mehr als hochwertigem Form. Und eben jenes Magazin wird in der nächsten Ausgabe, die Anfang Oktober erscheint, über mich und meinen Bildband „come undone“ berichten. Auf besonderes Interesse ist der Redaktion übrigens mein Konzept der Monographie gestossen, dass ich seit Jahren bei meinen Bildbänden konsequent verfolge. Meine Starrköpfigkeit in diesem Punkt scheint also langsam aber sicher belohnt zu werden …^^
In diesem Sinne: haltet die Ohren steif und bleibt mir gewogen!
Cheers!
Andreas