aj’s trivia (#72)


Foto: Yasemin Roos
 
aj’s trivia*
(Folge 72)
 
*trivia: „wissenswerte Kleinigkeiten, „dies und das, manchmal auch Kurioses“ [Wikipedia]
 
Sonntag, 15. Juli 2018. Ich sitze bei strahlendem Sonnenschein an meinem Schreibtisch und mich beschleicht das Gefühl, dass sich die ersten zwei Juli-Wochen des Jahres 2018 in der Nachbetrachtung als Meilenstein und Wendepunkt in meinem künstlerischen Leben herausstellen könnten. Aus dem Lautsprecher ertönt die Stimme von Florence Welch und ich lasse die letzten Tage Revue passieren. Was für eine verrückte Zeit, was für kuriose, dramatische, schöne aber auch bittersüsse Erlebnisse in so wenigen Tagen … aber der Reihe nach …:
 
 

 
Vor 8 Tagen war es endlich soweit: mein dritter Bildband – meine dritte Monographie – wurde veröffentlicht und zusammen mit 60 Gästen haben wir diese Veröffentlichung in meinem Atelier in Haan gefeiert. 60 der 250 Vorbesteller von „come undone“ haben den (zum Teil weiten) Weg nach Haan gefunden und es war eine großartige Feier. Genau die richtige Anzahl an Menschen – eine Zahl, bei der man sich als Gastgeber wirklich noch um jeden Einzelnen kümmern und viele interessante Gespräche führen kann. Katharina und ich haben das sehr genossen und wir haben uns wie die Schneekönige über das viele positive Feedback zu „come undone“ gefreut.
 
Nur eine gute Woche nach dem Buch Release (morgen!) startet unsere Tour durch Deutschland, auf der wir in 16 verschiedenen Städten viele Bilder zeigen und noch mehr über „come undone“ erzählen. Wie es zu unserer Zusammenarbeit gekommen ist und was die dreijährige Zusammenarbeit mit uns gemacht hat und ich freue mich, dass Katharina bereit ist, sehr viel dazu beizutragen. Ich bin sicher, dass wir viele Zuschauer mit dem, was wir erzählen werden, überraschen, und ich freue mich auf die Reaktionen und anschließenden Fragen.
 
Jetzt ist das immer so eine Sache mit dem Erzählen – was genau heisst das eigentlich, dieses „was die Zusammenarbeit/der Bildband mit mir/uns gemacht hat“? Es ist immer eine gute Idee, sich selbst über derartige Dinge im Klaren zu sein bevor man sie erzählt und ich schätze, dass mir das Alles so richtig erst in den letzten Tagen klar geworden ist. Zwischen Release und Tourstart sozusagen. Eine Woche, in der ich für ein neues Projekt nach Frankreich gereist und zwei Tage früher als geplant wieder zurück geflogen bin. Nicht weil es dort so furchtbar war oder mich die Menschen, mit denen ich dort die Zeit verbracht habe, genervt haben – sondern weil ich noch zwei Tage mit der besten Ehefrau von allen verbringen wollte (bevor ich sie in den kommenden vier Wochen wegen der Tour kaum zu Gesicht bekomme) und auch weil ich erst mal meine Gedanken sortieren muss …
 
WAS will ich eigentlich als Nächstes machen? In welche Richtung soll es weitergehen? Sind die erfolgreichen (aber mittlerweile auch ein wenig ausgetretenen) Pfade wirklich die richtigen? Ist es wirklich immer richtig, nach dem Herzen zu gehen? Oder tut bei allem Herzblut ab und an nicht auch ein wenig Ratio gut, um seine Leidenschaft richtig zu kanalisieren? Oder müssen am Ende des Tages nicht doch wieder Herz und Hirn die Fresse halten, weil der Bauch wieder mal die Oberhand gewinnt? Egal wie: es gibt, nichts Schöneres als wenn man irgendwann wieder weiss, was man eigentlich will. Und ich schätze, es wird gut …
 
Der vorzeitige Rückflug hatte es übrigens in sich. Kurzfristig gebucht gab’s natürlich keinen Direktflug mehr nach Deutschland, also mal eben ge“swoodood“ und … et voilà: Bordeaux nach Weeze über Palma! Das Ergebnis habe ich mir drei mal angeschaut – kann das wirklich sein, dass mir diese bescheuerte App tatsächlich einen solch kuriose Verbindung heraussucht – die dann auch noch einen Bruchteil von dem kostet, was man ansonsten für einen Flug nach Deutschland bezahlen müsste? Aber so war’s und die 3 Stunden Aufenthalt in Palma fand ich dann auch gar nicht so schlimm (auch wenn es die Reisezeit auf 7 Stunden erweiterte). Spätestens als ich in Bordeaux am Flughafen ankam und mir noch vor dem Einchecken mitgeteilt wurde, dass der Flug voraussichtlich eine Stunde Verspätung hat, fand ich das mit dem großzügigen Aufenthalt in Palma sogar ganz töfte. Ich war immer noch entspannt – schließlich wartete die beste Ehefrau von allen auf mich. Die Stimmung kippte ganz leicht, als aus der einstündigen Verspätung eine zweistündige wurde, weil der Kapitän offensichtlich zu doof war, die Klimaanlage an Bord zu starten und dafür einen Techniker bemühen musste (der natürlich auf sich warten liess und dann reichlich lakonisch einfach nur den richtigen Knopf drückte). Okay, damit blieben dann nur eine Stunde Aufenthalt in Palma, aber das ist ja im Prinzip auch völlig ausreichend, wenn mir nicht auf einmal eine ganz entscheidende Kleinigkeit aufgefallen wäre: mein Koffer war gar nicht bis Deutschland durchgebucht! Vielmehr musste ich ihn am Kofferband in Palma abholen und anschliessend am Schalter neu aufgeben! Wer jetzt weiss, wie lange man in Palma schon mal auf seinen Koffer wartet und wie lang die Schlangen bei der Gepäckaufgabe dort sein können, versteht vielleicht, dass ich auf einmal anfing, überdurchschnittlich zu schwitzen …
 
Um es kurz zu machen: den Anschluss in Palma habe ich nur bekommen, weil a) der Flug auch eine halbe Stunde Verspätung hatte, b) mein Koffer in Palma gleich der erste auf dem Gepäckband war, ich ihn c) NICHT aufgegeben und mit an‘s Gate genommen habe und d) einen neuen Mittelstreckenrekord in meiner Altersklasse aufgestellt (und dabei alle anderen Passagiere an der Sicherheitskontrolle links überholt) habe. Den Koffer bin ich tatsächlich am Gate losgeworden – ein Hoch auf RyanAir und das überaus nette und kooperative Servicepersonal in Palma. Ich schätze aber, dass sie letztendlich nur ganz viel Mitleid mit dem dicken alten Mann hatten, der schwitzend und mit Schnappatmung vor ihnen stand und „bitte, bitte“ in drei verschiedenen Sprachen stammelte …
 
 

 
Ich habe an diesem Tag zum ersten Mal in meinem Leben ein Bier an Bord eines Flugzeugs bestellt – um präzise zu sein, waren es sogar zwei. Müsst Ihr übrigens mal machen, wenn Ihr einen Blick ernten wollt, der einem Mix aus Indigniertheit, Spott und Entrüstung gleicht: auf die Frage, ob man etwas zu trinken haben möchte mit „zwei Bier, bitte“ antworten! Ich fühlt mich einfach nur unendlich erleichtert und hatte dabei ganz vergessen, dass ich seit 12 Stunden nichts mehr gegessen hatte. Wozu das führt, dürfte jedem klar sein, der schon mal zwei Dosen Bier auf nüchternen Magen getrunken hat (zudem auch noch lauwarm). Zusammen mit der Musik, die aus meinem Kopfhörer kam („The Kiss“ von The Cure in Dauerschleife und natürlich in der Live-Version), stellte sich ein Gefühl ein, bei dem ich selig wegdriftete. Und plötzlich formten sich meine zunächst noch wirren Gedanken zu etwas, dass eine Lösung für meine oben beschriebenen inneren Konflikte zu sein scheint. Ich verstehe mittlerweile jeden, der sagt, dass Alkohol kreative Prozesse unterstützen/befeuern kann – die Kunst besteht nur darin, nicht zu viel davon zu konsumieren (wenn ich betrunken bin, werde ich einfach nur müde – von Kreativität weit und breit keine Spur).
 
A pro pos Alkohol: ich habe eine neue Lieblingskneipe in meiner Heimatstadt Haan. Streng genommen habe ich einen neuen LieblingsWIRT und der heisst Bernd. Bernd habe ich vor ein paar Wochen während eines Workshops kennengelernt. Ich war mit meinen Teilnehmern ausnahmsweise in der Stadt unterwegs. Es war heiss und so habe ich die nächstbeste Gelegenheit genutzt, um zwischen zwei Aufgaben eine kurze Pause einzulegen. Da, wo wir zu dem Zeitpunkt waren, gab’s ein Eiscafé und den „Bier Brunnen“. Bei letzterem gab’s die grösseren Tische und deswegen landeten wir dort. Es war kurz nach Mittag und was trinkt man da in einer Kneipe? GENAU! Der erste Teilnehmer bestellte eine Cola light, worauf hin der Wirt (Bernd, wie sich später herausstellte) ihm lakonisch antwortete „gibt’s beim REWE um die Ecke“. Der nächste Teilnehmer holte sich sein Fett weg, als er wagte, ein alkoholfreies Bier zu bestellen. Bernd drehte sich um, zeigte hoch auf das Schild auf dem „Bier Brunnen“ stand und sagte „das hier ist ’ne Kneipe und kein Altersheim!“. Ich mochte Bernd auf Anhieb und gestern bin ich deswegen auch mit der besten Ehefrau von Allen auf einen kurzen Schnack (und zwei Alt) vorbeigegangen. Ein Kauz und ein echtes Unikum, dieser Bernd. Jahrelang war er als DJ auf Mallorca unterwegs und jetzt, mit 69 Jahren steht er von früh bis spät in der Kneipe und die meisten Stammgäste kommen nur wegen ihm. Nichts geht über Persönlichkeit – in allen Bereichen!
 
Wenn wir über TYPEN sprechen, will ich an dieser Stelle gern einen Buchtipp loswerden: es ist vielleicht bekannt, dass ich gern (Auto)Biographien – insbesondere von Musikern und Fotografen – lese und meine neueste Entdeckung ist das autobiographische Buch „Die Welt hat heute Geburtstag“ von Flake, den der ein oder andere vielleicht als Keyboarder von Rammstein kennt. Ich habe das Buch von einem sehr netten Menschen zur Releaseparty geschenkt bekommen, nachdem ich erzählt habe, dass ich mir Flakes Buch „Der Tastenficker“ gekauft habe. Und bereits nach zwei Seiten bin ich aus dem Lachen nicht mehr rausgekommen. Genau so verschroben und skurill wie Flake auf der Bühne erscheint, präsentiert er sich auch in seinen Büchern. Völlig unprätentiös und mit ganz viel Selbstironie schreibt er über seine Erlebnisse mit der Band und darüber hinaus. Ich mag Menschen, die über sich selbst lachen können und dabei andere Menschen zum Schmunzeln bringen und Flake gehört definitiv zu dieser Kategorie. Eine dringende Kaufempfehlung von meiner Seite!
 
 

 
Die lustigste Geschichte in dieser Woche passierte gestern. Auf dem Weg zu Bernd kamen wir beim ortsansässigen Apple-Händler vorbei und da diesen Monat der Leasingvertrag für meinen iMac ausläuft, bin ich kurz reingesprungen, um mich zu erkundigen, welche Optionen ich jetzt habe. Ich wusste, dass ich keinen neuen iMac wollte, weil ich so viel unterwegs bin, sondern stattdessen einen MacBookPro und es stellt sich heraus, dass Apple erst vor zwei Tagen ein neues Modell herausgebracht hat. Schwein gehabt! Flux konfiguriert und bestellt und während der Verkäufer ein paar Daten zusammenschrieb zeigte ich der besten Ehefrau von allen den HomePod, der in einem Regal stand. Sie fragte mich, was das sei und während ich mich umdrehte und wieder zu ihr und dem Verkaufstresen ging sagte ich „wenn ich dem Ding sage Hey Siri, spiel mal was von Tom Waits“, dann macht der das! Während sie mich etwas irritiert anschaute, erklangen im Hintergrund die ersten Takte von „Tom Traubert’s Blues“. Ich schätze, es war noch nie so leicht, sie von einer Neuanschaffung zu überzeugen und der Verkäufer grinste sich nur eins …
 
 
In diesem Sinne: haltet die Ohren steif und bleibt mir gewogen …
 
Cheers!
Andreas