Foto: Yasemin Roos
aj’s trivia*
(Folge 70)
*trivia: „wissenswerte Kleinigkeiten, „dies und das, manchmal auch Kurioses“ [Wikipedia]
Freitag, der 8. Juni 2018. Gestern war der Tag, an dem ich Anton Corbijn traf und meine Sony Digitalkamera verkauft habe. Beide Dinge haben nichts miteinander zu tun und passierten nur rein zufällig am gleichen Tag. Aber Ihr wisst ja hoffentlich, wie Regel #39 von Leroy Jethro Gibbs in Navy CIS lautet? „So etwas wie Zufall gibt es nicht.“ …
Ribbeln wir das Ganze also mal auf und schauen, wohin uns das führt …
Fangen wir mit dem Trivialen an: ich habe meine Sony A7R III verkauft – keine große Sache und man darf sich höchstens fragen, warum ich sie mir überhaupt gekauft habe, wo ich doch seit vielen vielen Jahren sehr glücklich mit Leica (und Nikon) bin. Ich bin halt manchmal spontan und Ende letztes Jahr dachte ich, es sei eine gute Idee, die Sony statt der Leica SL zu kaufen, da sie alles das, was die Leica kann, auch macht und das Ganze für sehr viel weniger Geld. Und eine höhere Auflösung hat sie auch noch. Nicht, dass mir das besonders wichtig wäre, aber wie sagt ein Kollege immer: „haben ist besser als brauchen“. Nach dem Kauf erfuhr ich noch, dass der Autofokus der Sony so intelligent ist, dass er quasi schon auf das Objekt scharf stellt bevor der Fotograf überhaupt weiss, dass er genau da scharf stellen will. Toll. Hat mir zwar nicht viel genützt, weil ich die Kamera einfach nur zum besseren Scharfstellen für meine Leica-Objektive nutzen wollte (weil von wegen elektronische Sucher mit Fokus Peaking und so). Aber man kann ja nie wissen – vielleicht fange ich nächstes Jahr an, Windhunde zu fotografieren oder Eis-Speedway und da kann ich so nen supi Autofokus sicher gut gebrauchen.
Ich habe dann im Januar ein paar Foto-Shootings mit der Kamera gemacht und dafür auch ein paar passende Objektive ausgeliehen (um diesen sagenumwobenen Autofokus zu testen) und was soll ich sagen: die Bildergebnisse waren perfekt! Die Kamera stellt im Prinzip das technisch Machbare – zumindest im Segment der spiegellosen Kameras – dar. [Hinweis: der Autofokus meiner Nikon D850 erscheint mir zwar immer noch einen Tick schneller und griffiger, aber das ist möglicherweise auch einer fehlerhaften Bedienung der Sony geschuldet bzw. der ungewohnten Bedienung (meine Nikon kann ich quasi im Schlaf bedienen)]. Die Sony kann quasi alles ausser Kaffee kochen (was ich ihr hier jetzt nicht ankreiden möchte), aber sie langweilte mich zu Tode. Alles ist viel zu perfekt und hinzu kommt: wenn ich sie in die Hand nehme, spüre ich genau … NICHTS. Wenn ich dagegen meine Leica in die Hand nehme … *seufz …
Wer jetzt gedacht hat, dass ich rationale Gründe für die Entscheidung gegen die Sony in’s Feld führe, den muss ich enttäuschen. Die Kamera macht mir einfach keinen Spass. Basta! (und die Leica SL hat zudem den erheblich besseren Sucher, aber das nur am Rande …)
Noch mal: eigentlich keine große Sache und dennoch habe ich auf meinen Verkaufspost mehr Nachrichten erhalten als auf alle meine Bildpostings der letzten sechs Monate zusammen. „WARUM?“ und „wie kann man nur?“ und ich frage mich verblüfft (und mit großer Hochachtung vor der Marketingabteilung von Sony), wie Sony es in relativ kurzer Zeit geschafft hat, als das Non-Plus-Ultra in der Foto-Szene zu gelten. Das geht soweit, dass im Prinzip jeder Sony-Kauf bzw. Umstieg von Nikon/Canon/Pentax/Fuji/Leica/etc. zu Sony öffentlich in den sozialen Medien zelebriert wird. Mit Aussagen wie „ich wusste ja schon lange, dass Sony bei Porträts unschlagbar ist“ und dann muss ich immer schmunzeln, weil … wie viele Bilder in meinen hunderten Bildbänden wurden eigentlich noch mal mit Sony fotografiert?
Mein Text soll gar kein Sony-Bashing sein – au contraire … die Kameras sind toll und die Objektive auch – gar keine Frage. Ich bin nur verblüfft, wie gut die Sony-Ambassadore ihren Job machen, in dem sie suggerieren, dass man ohne Sony-Technik demnächst nichts mehr auf die Kette bekommt. Und damit das klar ist: das Gleiche würde ich auch über jede andere Marke schreiben (das ist das Gute: ich bin völlig unabhängig und kann daher schreiben, wie mir der Schnabel/Finger gewachsen ist)! Kauft Euch das, was Euch Spass macht (wie ich es auch tue – siehe oben), aber hört auf, Argumente in’s Feld zu führen, die den Großen der Zunft nur ein müdes Lächeln abringen würde. Sagt einfach „find ich geil“, aber nicht „der Autofokus ist geiler als …“ oder „die Schärfe ist besser als …“ oder „die Auflösung brauche ich für …“. Das ist in 99% aller Fälle Kappes. Oder anders gesagt: wenn Ihr bisher langweilige Bilder mit einer Canon gemacht habt, werdet Ihr mit der Sony (oder mit einer Nikon oder oder oder) höchstwahrscheinlich auch langweilige Bilder machen. Es sei denn, Ihr findet die Kamera so geil und habt so einen Spass, sie in die Hand zu nehmen, dass Ihr allein dadurch inspiriert werdet, bessere Bilder zu machen! DAS ist ein Argument, dass ich nachvollziehen und akzeptieren kann – und das meine ich tatsächlich ernst.
Die Zielrichtung, die Bildergebnisse (in der Porträtfotografie) zu perfektionieren (und zwar im technischen Sinne – und nur darüber können wir bei Kameratechnik sprechen), ist meines Erachtens nicht die richtige. Und das wurde mir gestern wieder sehr eindrücklich gezeigt – womit sich der Kreis für heute schliesst. Gestern war ich auf der Ausstellung von Anton Corbijn in Hamburg und durfte anschließend noch einem 1,5stündigen Künstlergespräch beiwohnen. Und was ich dort zu sehen (und zu hören) bekam, führt jede (aber auch wirklich JEDE) technische Diskussion in der Porträtfotografie ad absurdum. Scharf ist bei Corbijn ja irgendwie nichts, die Auflösung der Bilder spottet stellenweise jeder Beschreibung (analoges Kleinbild gibt halt nicht viel her) und „richtige Belichtung“ ist bei Corbijn auch irgendwie relativ. Und Schatten sind bei Corbijn nicht etwas durchgezeichnet, sondern … SCHWARZ. „Enjoy the fucking shadow“ hiess es in der gezeigten Kurz-Doku und ich weiss genau, was er meint.
Was aber haben die Bilder von Corbijn? Sie sind kraftvoll, sie sind stellenweise magisch und sie erzählen fast immer eine Geschichte – und nicht selten verursachen sie eine kleine Gänsehaut. Klinisch Perfektes würde stören – das Leben ist nämlich nicht klinisch perfekt. „Die Perfektion liegt in der Unperfektion“ hat Anton Corbijn mal gesagt und deswegen brauchen wir auch keine Apparaturen, die technisch Perfektes liefern. Wir brauchen etwas, das Spass macht und uns bestenfalls inspiriert. Bei Corbijn ist es Leica (analoges Kleinbild) und Hasselblad (analoges Mittelformat), bei Lindbergh ist es Nikon (DSLR) – früher Pentax und Nikon (analog) und bei Peters ist es Mamiya. Und für etliche andere aus der nachrückenden Generation ist es vielleicht Sony. Oder Fuji. Oder was auch immer. Weil es im Prinzip nämlich völlig egal ist.
Ich plädiere nur für etwas mehr „Dreckigkeit“ in der digitalen Porträt-Fotografie (die analoge Fotografie bringt diese quasi schon „ab Werk“ mit). Nicht immer alles so klinisch und perfekt. Ein bisschen mehr Corbijn und weniger Werbeplakat. Mehr Emotion und weniger Technik. Mehr Vinyl und weniger mp3.
Zum Abschluss gibt’s heute 2x „Jolene“, diesen wunderbaren Song aus der Feder von Dolly Parton. Einmal in einer „Hochglanz“-Version von Miley Cyrus (die ich wirklich mag) und einmal von den White Stripes. Bei einer Version bekomme ich Gänsehaut – ratet mal, bei welcher …
In diesem Sinne: haltet die Ohren steif und bleibt mir gewogen …
Cheers!
Andreas