Foto: Yasemin Roos
aj’s trivia*
(Folge 105)
*trivia: „wissenswerte Kleinigkeiten, „dies und das, manchmal auch Kurioses“ [Wikipedia]
Mitte Juli. Dieses „Seuchen“-Jahr (sic!), das Jahr 2020 als Künstler zu überleben, ist wahrhaftig keine Selbstverständlichkeit. Wie es aussieht, gehöre ich zu den Glücklichen. Zu verdanken habe ich das meinen treuen Webshop-Kunden, die in schöner Regelmässigkeit meine Publikationen bestellen – die meinen neuen Bildband „Black is the colour“ gekauft haben wie noch keinen Bildband zuvor. Die sich für meine limitierten Fine-Art-Prints interessieren. Ohne das wäre es mehr als eng geworden – da ginge es mir nicht anders als den Kollegen*Innen. Keine Veranstaltungen, keine Einnahmen – nur Kosten. Die Corona-Soforthilfe des Landes NRW habe ich zurückbezahlt, nachdem klar war, dass die Buchumsätze das grösste Fiasko verhindern, was mich schon ein wenig stolz macht. Was derzeit mit allen anderen Zuschussempfängern passiert (Stichwort Fragebögen und Rückzahlungsaufforderung) macht mich dennoch betroffen. Welchen Kahlschlag wir in der Kulturszene bekommen werden, ist in dem Ausmass noch nicht zu erahnen. Mich macht das sehr traurig …
Gesundheitlich knirscht es aktuell im Gebälk – mal eben eine neue Hüfte einsetzen lassen reicht mir offensichtlich nicht. Womit 2020 endgültig zur grössten Herausforderung seit 10 Jahren wird – als ich den Consultant gegen den Künstler tauschte. Der Doc bittet um Geduld. Wie es aussieht, wird die Fotografie-Pause damit ein halbes Jahr dauern. Ein halbes Jahr ohne Kamera in der Hand. Zu meinem eigenen Erstaunen bin ich geduldig und fange an, die Zeit wertzuschätzen, die ich jetzt habe. Zeit, in’s (analoge) Archiv zu steigen. Und Zeit zum Nachdenken.
In meiner Facebook-Gruppe wird eine Diskussion über „Bildstil“ und „persönliche Handschrift“ losgetreten. Bildstil … ein interessantes Thema, sollte man meinen und dennoch wird es eigentlich nur in Hobbykreisen ernsthaft diskutiert. Mittlerweile bin ich mir gar nicht mehr sicher, ob es „Bildstil“ überhaupt gibt – oder ob es nicht zumindest die falsche Begrifflichkeit ist. In jedem Fall hat es nichts mit Bild“look“ zu tun – der meist verbreitete Irrtum. Für mich hat der Stil eines Fotografen ganz viel (alles?) mit seiner Persönlichkeit zu tun. Es erzählt mir (bestenfalls) etwas über ihn – auf keinen Fall möchte ich, dass er es mir erklärt. Ich will es in seinen Bildern sehen. Für was interessiert er sich? Wie tickt er (vermeintlich)? WAS fotografiert er? Und dann: WIE fotografiert er es? Wie nähert er sich an sein Sujet? Womit wir dann zur persönlichen „Handschrift“ kommen, von der ich glaube, dass man sie „findet“, wenn man nicht mehr danach sucht. Und dass man sich klar machen muss, dass die so schön „wiedererkennbare“ Handschrift auf Dauer auch langweilen kann – den Rezipienten (worauf man keinen Einfluss hat), aber (schlimmer noch) sich selbst!
Social media verleitet uns, zu schauen, was andere machen (nicht verwerflich), aber im Kontext des so genannten „Erfolgs“ (hier liegt das Problem). Was gut ankommt, wollen wir auch machen. Zumeist nennen wir das „sich ausprobieren“, aber ist es das wirklich? Was wir wollen, ist Anerkennung – niemand kann sich davon ausnehmen. Wir müssen es uns nur eingestehen. Und vielleicht (!) irgendwann beginnen, uns zu hinterfragen: „was will ich eigentlich?“ bzw. „was interessiert mich wirklich?“. Das fängt bei den Motiven an und hört bei der fotografischen Umsetzung noch nicht mal auf, denn am Ende steht die Präsentation – wo und wie? Vielleicht sogar gar nicht öffentlich, sondern einfach nur für MICH.
Wir leben in Zeiten, in denen die Fotografie medial vor allem auf Meta-Ebene funktioniert: viel Gerede über Fotografie, wenig Fotografie. „How to’s“ hier, bedeutungsschwangere Erklärungsversuche dort. Das ist unterhaltsam, aber auch nicht mehr. Ich bin mir darüber im Klaren, dass ich in gewisser Weise Teil des Problems bin, aber ich arbeite an mir. Eine gewisse mediale Präsenz ist nötig (siehe oben – ich würde sonst keine Bildbände verkaufen) -, aber zu viele Kameras und Mikros machen mir auch keinen Spass. Weil es meine Kunst an sich nicht besser macht.
Es ist ein langer Weg, sich komplett freizuschwimmen und „angekommen“ ist man wahrscheinlich nie – weil es möglicherweise auch gar nicht darum geht …
Ich setze mich dann mal wieder an meine Negative. Das erdet mich gerade. Und entschleunigt. Ich wünsche Euch einen schönen Sommer! Den passenden „Soundtrack“ habe ich für Euch auf Spotify zusammengestellt – viel Spass:
In diesem Sinne: haltet die Ohren steif und bleibt mir gewogen! Wir sehen uns dann hoffentlich im Herbst/Winter bei bester Gesundheit!
Cheers!
Andreas
Ein Beitrag zu "aj’s trivia (#105) – Juli 2020"
Danke Andreas……
wen mehr Menschen mit Deiner Einstellung zum Leben,
leben würden, wäre die Welt um einiges lebenswerter.
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