aj’s Bücherkiste … #2

In loser Reihe greife ich immer mal wieder in meine Bücherkiste bzw. in’s Regal, ziehe drei Bildbände heraus und stelle Sie hier kurz vor. Das ganze ist nicht als tiefgehende Rezension gedacht, sondern soll durch ein paar Bilder und meine Kurzschreibung Eure Neugier wecken. Meinen Fokus richte ich dabei meist auf Bildbände, die ich selbst im Antiquariat gekauft habe bzw. jene, die nur noch dort zu bekommen sind und auf Bildbände abseits der gängigen Verkaufsschlager. Also weniger Lindbergh und Newton, dafür mehr das, was man in der Musik gern „independent“ nennt – was im Handel nicht ganz vorn im Regal steht oder was vielleicht einfach in Vergessenheit geraten ist.
 
Der erste Bildband, den ich heute vorstellen möchte, ist zwar erst acht Jahre alt, beinhaltet aber ausschließlich Bilder aus dem Jahr 1967. Anläßlich der Ausstellung zum 100. Geburtstag von Gordon Parks (der 2006 im Alter von 94 Jahren starb) hat der Steidl Verlag die 1968 im renommierten Life Magazine erschienene Reportage über die afroamerikanische Fontenelle Familie aus Harlem in Buchform herausgegeben. In ca. 80 Schwarzweissbildern wird das Alltagsleben der Familie dargestellt – geprägt von Rassismus und Armut (von den 8 Kindern der Fontenelle Familie wurde nur eines über 30 Jahre alt). Gordon Parks war der erste schwarze Fotograf, der eine Festanstellung beim Life Magazine erhielt und gilt noch heute als einer der wenigen schwarzen Fotografen mit Weltruhm. Parks’ Hauptmotiv beim Fotografieren war die Dokumentation von sozialem Unrecht. “I saw that the camera could be a weapon against poverty, against racism, against all sorts of social wrongs”. Für sein eindrückliches Porträt einer afroamerikanischen Familie in Harlem Mitte der 60er Jahre hat er sich Zeit genommen. Wochenlang hat er die Familie ohne Kamera besucht, wurde irgendwann Teil von ihr („Onkel Gordon“) – erst dann brachte er irgendwann die Kamera mit und dokumentierte das Leben und das Umfeld der Familie mit besonderem Fokus auf die Kinder, die in bitterer Armut aufwuchsen. Ein großartiges Zeugnis exzellenter Reportage-Fotografie, die betroffen macht und unter die Haut geht. 112 Seiten, Format 25x29cm. Der Bildband ist „out of print“, im gut sortierten Antiquariat aber immer noch zu finden. SEHR EMPFEHLENSWERT!
 
 


 
 
Der Bildband „Paula – Silent Conversation“ des niederländischen Fotografen Hendrik Kerstens aus dem Jahr 2013 ist eine Monographie, weshalb er natürlich sofort mein Interesse weckte. „Model und Muse“, wie er selbst sagt, ist seine Tochter Paula, die er von klein auf regelmässig fotografierte – von Beginn an nicht die typischen Familien-Schnappschüsse, sondern stets auf mehr oder weniger subtile Art inszeniert und dabei unübersehbar an die Motive der großen holländischen Maler angelehnt. Dabei spart Kerstens nicht mit feiner Ironie, in dem er insbesondere die früher üblichen Kopfbedeckungen aus Alltagsgegenständen unserer Zeit nachbildet (u.a. Servietten, Bubble-Folie, Geschirrtücher und Müllsäcke). Das alles ist aber so fein arrangiert, dass es nicht als Gag in den Vordergrund rückt – der Mittelpunkt bleibt stets das interessante Gesicht seiner Tochter Paula. Klassische Porträts (mit und ohne Kopfbedeckung) wechseln sich ab mit Aufnahmen von Paula als kleines Kind in der Badewanne oder als Teenager mit schwerem Sonnenbrand. Die erste (von insgesamt knapp 60 Aufnahmen) aus diesem Bildband stammt aus dem Jahr 1992 und die letzte aus dem Jahr 2013. Über 20 Jahre dokumentieren auf großartige Weise die Entwicklung einer einer heranwachsenden Frau. Und was ich spannend finde: die Bilder sind nicht chronologisch angeordnet – das macht einen großen Reiz beim Durchblättern aus. 136 Seiten, Format 26x31cm. Der Bildband ist im gut sortierten Buchhandel noch erhältlich.
 
 


 
 
Jean-Francois Jonvelle war ein französischer Mode- und Porträtfotograf, der in den 60er Jahren als Assistent von Richard Avedon arbeitete und später im Bereich Sensual Nude arbeitete (zumeist mit Bekannten und Nicht-Models). Er starb bereits 2002 im Alter von nur 58 Jahren und hat ein paar sehr schöne Bildbände hinterlassen, von denen aktuell allerdings keines neu erhältlich ist. Seine Aufnahmen sind weniger glamourös, dafür aber natürlicher und authentischer als die vergleichbarer Fotografen, die im Glamour-Bereich arbeiteten. Bei Jonvelle wirkt es meist komplett uninszeniert und man sieht keine „Models“, stets hat es den Anschein ganz „normaler“ (wenn auch sehr schönen) jungen Frauen – mit eindeutig französischem Appeal. Ich mag die Arbeiten Jonvelles sehr und empfehle Euch heute seinen Bildband „jonvelle(s)“ aus dem Jahr 1999, den es für vergleichbar kleines Geld im Antiquariat oder auf ebay zu kaufen gibt. Wer nur einen Bildband von Jean-Francois Jonvelle kaufen will, kann auch zum Bildband „The 100 Best Photographs“ greifen, der allerdings nur recht hochpreisig zu bekommen ist (meine Vermutung ist, dass dieser Bildband irgendwann mal wieder neu aufgelegt wird). Knapp 150 (analoge) Schwarzweiss-Bilder auf 192 Seiten, Format 29x33cm.
 
 

5 Beiträge zum Thema "aj’s Bücherkiste … #2"

  • Vielen Dank für diese interessanten Tipps. Von Jonvelle habe ich nach deiner letzten Buchempfehlung inzwischen zwei Bildbände und bin auch sehr angetan von der Natürlichkeit. Wenn es nach mir geht, darfst du gerne ruhig öfter ins Bücherregal greifen, es gibt so viele inspirierende Bilder

    Olaf Korbanek

  • Der Bildband Jonvelle(s) ist wirklich ein Juwel. Ich habe noch nirgends eine solche Fundgrube von leichten, authentischen, Posenfreien Aktfotos gefunden. Vielen Dank! Ich konnte zum Glück ein gut erhaltenes Exemplar für sehr wenig Geld erhalten. Nun muss ich auch endlich wieder mal ‚BETTY BLUE – 37,2 Grad am Morgen“ sehen.

    Hartmut

  • Danke Andreas, dass Du uns mit so vielen Dingen inspirierst. Den Bildband von Jonvelle habe ich mir bereits im März für schmales Geld gekauft, wo Du in Deinem aj Newsletter darauf hingewiesen hast. Liebe Grüße Stefan

    Stefan

  • Sehr interessante Fotografen und Bilder. Das macht Lust auf mehr. Freue mich auf die Fortsetzung deiner Indepandant Vorstellungen. Vielen Dank für deine Mühe!

    Jürgen Dröge

  • Danke, für die interessanten Tipps, alle drei Fotografen kannte ich noch nicht. Da bekommt man gleich Lust, mal wieder selbst im Bücherregal zu stöbern ;-)

    Alice

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