aj’s trivia (#104) – Januar 2020


 
Foto: Yasemin Roos
 
 
aj’s trivia*
(Folge 104)
 
*trivia: „wissenswerte Kleinigkeiten, „dies und das, manchmal auch Kurioses“ [Wikipedia]
 
*******unbezahlte Werbung!*******
(ich werde von keinem Hersteller gesponsert und kaufe mir auch zukünftig mein Equipment selbst)
 
Kürzlich sah ich die Werbung eines Kameraherstellers, der in Zusammenhang mit seinen neuen Modellen von „Next-Level-Fotografie“ sprach. Im Rahmen einer Werbetour werden Workshops für „Next-Level-Porträtfotografie“ angeboten – „kauft diese Kamera und Ihr erreicht die nächste Stufe der Porträtfotografie“ suggerieren die Plakate und natürlich kann man das aus gutem Grund achselzuckend als das abtun, das es ist: Marketinggeschwätz. Ich schätze, da unterscheiden sich die Hersteller auch nicht wirklich voneinander, ausser das der eine etwas lauter zu vernehmen ist, als der andere. Ich schmunzle in der Regel über so etwas und das tat ich auch diesmal, allerdings setzte das Ganze etwas in Gang bei mir. Mir ging die Aussage einfach nicht aus dem Kopf. Denn wenn ich ganz ehrlich bin, habe ich den Eindruck, dass die fortschreitende Kameratechnik eigentlich nur theoretisch dabei hilft, bessere Fotos zu machen. Keine Angst: ich reite jetzt nicht auf der „der Fotograf macht das Bild“-Welle – es geht mir um etwas anderes. Um persönliche Erfahrungen, die ich gemacht habe und die ich gern teilen möchte. Weil sie vielleicht zum Nachdenken anregen.
 

 
Alles fing damit an, dass ich mir im letzten Jahr eine neue Kamera kaufte. Nach 10 Jahren Leica habe ich mir im August zusätzliche eine Fuji GFX 100 nebst zwei Objektiven angeschafft – u.a. für das Projekt, an dem ich seit einigen Wochen auf der Insel Föhr arbeite. Nach einigen Monaten Eingewöhnung und jetzt täglicher harter Arbeit bei Wind und Wetter mit der Fuji kann ich konstatieren: das ist die fucking beste Kamera, mit der ich jemals gearbeitet habe! Die Bildergebnisse sind atemberaubend, der Dynamikumfang ist fast schon unwirklich und die Tatsache, dass ich wegen IBIS eine 1/8s aus der Hand halten kann (bei Mittelformat und 100 Megapixel Auflösung!), ist beinahe surreal. Der Autofokus nebst Augenerkennung trifft zu 99% und wenn ich mich in der Belichtung verhaue, kann ich in C1 den Korrekturregler fröhlich in jedwede Richtung ziehen, ohne dass es zu Tonwertabrissen oder störendem Rauschen kommt- selbst in den Lichtern sind Reserven ohne Ende … Wahnsinn! Der automatische Weißabgleich ist wahrscheinlich der beste, den ich jemals in einer Kamera gesehen habe und die Farben (sic!) gefallen mir in der Regel auf Anhieb – keine nennenswerte Korrektur notwendig. Ich habe das Neujahrssegeln hier auf Föhr fotografiert – trockenen Fusses; denn bei 100 Megapixeln kann ich ja croppen bis der Arzt kommt. Bildausschnitt passt nicht? Kein Problem – wird anschließend passend gemacht. Egal was Du fotografierst: wenn Du Deine Sinne einigermassen beieinander hast, kommst Du mit jeder Menge technisch perfekter Fotos nach Hause. Ist doch super, oder?
 
Nun ja … wäre ich Handwerker, wäre dies definitiv mein Werkzeug … ohne wenn und aber! Aber der bin ich ja nun mal nicht (auch wenn man in der Fotografie sein Handwerk beherrschen sollte, aber das gehört hier jetzt nicht hin). Beginnen wir mit dem, was mir bei der Wahl meiner Kameras immer wichtig war: der Anfass-Faktor … die Haptik! Die möglichst intuitive Bedienung. Es muss SPASS machen, die Kamera in der Hand zu halten! Und da beginnt mein Problem mit der neuen Kamera: es macht mir KEINEN Spass! Eigentlich geht mir das Ding schon in dem Moment auf den Sack, in dem ich es in die Hand nehme. Ich habe sofort das Gefühl, einen Computer in der Hand zu haben und keine Kamera. Gefühlt 1.000 Einstellmöglichkeiten, Hebel, Knöpfe und ein Menü, bei dem ich nach dem kompletten Durchscrollen (gefühlt eine Stunde später) eigentlich nur noch auf den Endgegner warte. Alles ist gross und schwer und ich würde mich nicht wundern, wenn man irgendwann einen Waffenschein dafür benötigt. Aber die Bildergebnisse sind schon sehr SEHR geil – das macht es dann doch wett … oder vielleicht doch nicht?
 

 
Es klingt vielleicht bekloppt (und vielleicht ist es das sogar), aber ich habe beim Fotografieren gern das Gefühl, dass ICH es bin, der das Bild gemacht hat. Genau dieses Gefühl droht mir, bei der Fuji verloren zu gehen. Wenn ich mal wieder eine Serie geschossen habe, von der alle Bilder scharf sind, alle technisch perfekt, so dass ich nur eines auswählen muss, bei dem auch der Ausdruck des Protagonisten etc. „passt“, ist es definitiv etwas anderes, als wenn ich mir das Bild richtig „erarbeiten“ muss. Wenn ich dafür „kämpfen“ muss. Zumindest kommt es mir so vor. Und das ist der Grund, warum ich mir vor wenigen Tagen via ebay eine neue „alte“ Kamera gekauft habe. Eine Kamera, die ich bereits einmal besessen habe und die ich hätte nie verkaufen sollen. Eine Kamera, die jetzt bereits fast 8 Jahre auf dem Buckel hat: ich spreche von der ersten Leica Monochrom (CCD). Diese Kamera läutete meine „black and white only“ – Ära ein und ich habe ca. 5 Jahre lang mit nichts anderem fotografiert als mit ihr und einem 50mm Objektiv. Habe Bilder gemacht, die auch heute noch zu meinen Lieblingen zählen. Im Prinzip ist es völlig absurd, sich in der heutigen Zeit diese Kamera zuzulegen. Kein Autofokus (nur fokussiere ich sowieso viel lieber manuell), unfassbar langsam (weil Buffer irrwitzig klein) und das Display sieht aus wie bei einer Kamera aus einem Kaugummi-Automaten und taugt daher nicht mal annähernd für die Beurteilung eines Bildes. Es gibt genau 15 (!) Menüeinträge (inkl. Formatieren und Sensorreinigung), dafür ein richtiges Verschlusszeitenrad und die Blende wird am Objektiv eingestellt (wie sich das gehört – das ist zum Glück bei der Fuji genau so). Wenn Du die Belichtung verkackst (zumindest in Richtung überbelichtet), hast Du es halt verkackt – da holst Du weder in Lightroom noch in C1 irgendetwas zurück! High-Iso-Fähigkeiten hat sie im Vergleich zu modernen Digitalkameras auch nur bedingt – bei wenig Licht und den dann notwendigen hohen ISO-Werten rauscht es halt (nur dass das „Rauschen“ aufgrund des CCD-Sensors mehr dem Filmkorn ähnelt). Kurz gesagt: die Kamera kann eigentlich NICHTS! Oder anders gesagt: sie macht es Dir nicht leicht! Iso, Verschlusszeit, Blende – mehr is‘ nicht. Aber mehr braucht man auch nicht! Wenn man es kann …
 
Du nimmst also diese Kamera in die Hand und kommst Dir spontan vor wie der Hulk, weil sie im Vergleich zur GFX winzig ist und quasi „nichts“ wiegt (dabei ist sie gar nicht soooo leicht). Es fühlt sich gut an! Du ziehst los und machst Deine ersten Bilder, kommst nach Hause, überspielst die Bilder auf den Rechner und dann passiert es … BÄM! Kennt Ihr den Film „Cast away“ mit Tom Hanks? Die Szene, als er das erste Mal nach der Strandung Feuer gemacht hat – ohne Feuerzeug und ohne Streichhölzer? Wisst er noch, wie er das gefeiert hat?
 

 
Genau SO fühlt es sich an, wenn man Bilder mit einer Kamera macht, die einem NICHT die Arbeit abnimmt. Die einem ein gutes Gefühl vermittelt, aber NICHT die Arbeit abnimmt. Ich bekomme sofort eine andere Einstellung zu den Bildergebnissen – selbst wenn unbeteiligte Dritte das nicht in den Bildern sehen … ICH sehe es! Und meines Erachtens ist DAS auch genau der Grund, warum die analoge Fotografie gerade bei vielen jungen Fotogragen*Innen ein solches Revival erfährt: Du hast unweigerlich das Gefühl, selbst etwas geschaffen zu haben! Dir selbst etwas erarbeitet zu haben! Am Ende des Tages hilft es natürlich nichts: ein gutes Bild ist ein gutes Bild ist ein gutes Bild (ich zahle freiwillig 5 Euro in’s Phrasenschwein) und dem neutralen Betrachter ist es egal, wie ein Bild entstanden ist (zumindest sollte es ihm egal sein), aber wie schön ist es doch, wenn man als Fotograf*In auch noch Spass bei der Entstehung hatte? Wenn quasi eine Goldgräberstimmung wie früher entsteht … und wenn man sich dann beim Betrachten der Bilder wie Tom Hanks fühlt – wie er tanzend um das Feuer läuft und ruft

ICH HABE FEUER GEMACHT!
 
 
In diesem Sinne: haltet die Ohren steif und bleibt mir gewogen!
 
Cheers!
Andreas
 
 
PS: die Fuji bleibt natürlich trotzdem hier, weil … die Bildergebnisse sind schon geil …!^^

8 Beiträge zum Thema "aj’s trivia (#104) – Januar 2020"

  • Du hast sicher die „alte Leica M Monochrom CCD“ recht billig in der „Bucht“ abgeschossen! Da kannst Du nur hoffen, dass der CCD Sensor nicht seinen Geist aufgibt, denn es gibt dafür leider keinen Ersatz mehr! Man kann da nur von „Schrottplatz“ einen anderen Sensor nehmen, von einer Kamera die einen Sturzschaden oder ähnliches hat!

    Aber trotzdem, viel Spaß mit dem alten Schätzchen!

    Rainer

  • Vielen Dank für diesen Beitrag Andreas. Du sprichst mir aus der Seele. Diverse Kamersysteme haben wir alle wahrscheinlich schon durch, doch irgendwann erkennt man, dass Technik und jede Menge Funktionen eben nicht alles ist.
    Ich verwende zur Zeit zwar öfter eine Sony A7Ii, weil ich manchmal einfach Vollformat haben möchte. Aber, vor ein paar Jahren habe ich aus Gewichtsgründen (Tennisarm usw.) meine gesamte Canon DSLR-Ausrüstung verkauft und durch eine Olympus PEN-F ersetzt. Auch wenn die PEN-F „nur“ einen MFT-Sensor besitzt und ich mich umstellen musste, ist sie zu meiner Lieblingskamera geworden. Genialer S/W-Modus (Kodak TRI-X) und die Knöpfe und Regler an der richtigen Stelle. Das chaotische Olympus-Menü brauche ich nur um die Speicherkarte zu formatieren. Da ich recht kleine Hände habe passt auch die Größe der PEN-F für mich. Mit ihr macht Fotografie richtig Spaß, lichtstarke Objektive vorausgesetzt.

    Viele Grüße aus dem Westerwald
    Günter

    Günter Weber

  • Kann ich sehr gut nachvollziehen – beide Fotosysteme sind aber schon eine Frage des nötigen KLEINgelds. Das spricht dann schon eine monetäre Elite an und der Artikel verusrsacht damit trotz sympathischen Inhalts bei mir eine Gänsehaut des Befremdens!

    Reinhard Hurt

  • Toller Text! (Mehr kann dazu von meiner Person nicht gesagt werden)

    Kai Brücher

  • hi andreas, werte leserschaft,

    ja so ist es und so ist es gut. ich fahre morgen nach prag zu einem workshop mit daniel rericha und tomas morkes. ich packe folgende kameras ein: ricoh gr3 und leica m-a mit dem summaron m 28 5,6. ich könnte die hasselblad x1d und ein paar wechselobjektive mitnehmen und so filter und dann könnte ich viel bessere fotos machen, mehr auflösung und cropen ins xpan-format. aber, die ricoh macht mehr spaß, dazwischen, beim rumlaufen und zwischendurch fotografieren und ganz besonders beim tragen in der jackentasche. ja und die ma, die ma ist das beste, was ich habe. das labor in dresden hatte ferien bis montag. sie (die ma) ist seit weihnachten bei mir und ich habe sechs rollen voll gemacht. am montag bin ich mit dem fahrrad in der mittagspause zum labor. gestern habe ich mindestens zwanzig mal in den mails nachgesehen, ob die scans fertig sind. und heute war es dann so weit. ich freue mich seit um zwölf wie ein dreijähriger beim geschenkeauspacken. das sind jetzt schon sechs stunden. ich bin erstmals analog unterwegs und es ist so geil. es ist wie ganz früher, man hat einige bilder vergessen und freut sich wie bekloppt. ich habe vorfreude. ich freue mich schon jetzt auf die entwickelten bilder, die ich noch gar nicht gemacht habe. ja, es muss spaß machen. macht es, wieder, mehr den je, orgasmisch, fast! und wenn die alte monochrom dein viagra ist, dann lass nicht von ihr ab. wir sind alte männer, wir brauchen das zeug!

    tobias

  • Hallo und ein gutes neues Jahr erstmal!

    Eigentlich sehe ich das ganz genauso. Eigentlich!?

    Ich verwende digital eine X-T20 und sonst eher uralte analoge „Fotoapparaturen“. Genau wegen der Entstehung des Bildes. Dem Prozess des Schaffens.

    Einfach nur herrlich.

    Nur manchmal genieße ich auch die Einfachheit der Digitalen. Abdrücken und fertig. Da finde ich die Fuji Haptik ganz gut.

    Berechtigung hat beides. Mehr oder weniger leidenschaftlich.

    Liebe Grüße
    Michael

    Michael Mahr

  • …grossartig mit dieser Tom Hanks Einspielung :)

    Olaf Weiss

  • Moin,

    1) Photograph -> Objektiv -> EBV -> Kamera.. In genau dieser Reihenfolge. Bestimmt wird ein Bild vom Photographen, eventuell kann man sehen, ob ein 50er oder ein 105er im Einsatz war. Vermutlich wird man nicht sehen können, was am Bild später per Computer manipuliert wurde und GANZ SICHER wird man niemals sehen können, mit welcher Kamera ein Bild gemacht wurde.

    Ja, ich könnte wohl ein Lindbergh Modefoto von einem Ellen von Unwerth Bild unterscheiden, und ob ein 35er oder ein 85er eingesetzt wurde könnte ich vielleicht auch noch erkennen. Wenn die Digital Assistants nicht totalen Scheiss bauen, erkennt man kaum noch, wo herumgewischt wurde, und zu keinem Zeitpunkt ist es möglich zu sagen „ja klar … die Nikon Farben eben“ oder „aaah … der typische Leica-Glow“ oder so.
    Kameras werden überschätzt. Es sind Werkzeuge – Mancher will einen Hammer mit PE-Griff, Mancher will Holz anfassen und Irgendwer meint, dass man mit einem Carbongriff keine Sehnenscheidentzündung mehr bekommt. Niemand, der die Nagelköpfe im Holz sieht, kann sagen welcher Hammer benutzt wurde um die Nägel einzuschlagen.

    2) Ich durfte dank der Aktion von Photo Görlitz mit der Monochrom der ersten Serie und dem 1.4-50 arbeiten. Ich schicke dir zwei Bilder zu: eines mit Leica und eines mit Nikon, beide mit dem jeweiligen 50er. Schau heute Abend in deine Mail und sag‘ mir, welche Kamera benutzt wurde. Du kannst danach gern auch in die EXIF schauen

    Die M-M ist Mist. Ja, die Objektive sind handlich und der Messucher funktioniert besser als erwartet (besser und heller als bei meiner alten M2), aber die Hartplastik-Knöpfe wirken billig, die Kamera ist VIEL, VIEL schwerer als die analogen M Gehäuse und daher ohne Griff-Ansatz kaum vernünftig zu halten und Display und Menü sind erbärmlich. Auch die High-ISO Fähigkeiten sind …. also man sollte einfach kein Hi-ISO machen.

    Die Bilder, die Du bekommst, sind erschreckend ähnlich, nur habe ich bei der Nikon fokussiert, den Ausschnitt gewählt (verschwenkt) und ausgelöst. Eine, vielleicht zwei Sekunden. Das Bild mit der Leica hat unendlich lange gebraucht, allein schon weil die Leica das Licht anders, integraler, misst. Ein Werkzeug, mit dem ich länger brauche um zum gleichen Ergebnis zu kommen, lässt mich nicht konzentrierter arbeiten – es macht mir den Job schwieriger.

    Gruss aus Le Touquet ;o)

    Stefan

    Alles falsch - aber nachvollziehbar.

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