Aus meinem Nähkästchen #02

 
ROSALIE UND DAS OBST
 
Rosalie habe ich Anfang 2018 kennengelernt. Sie schrieb mich auf Instagram an und fragte, ob ich Interesse hätte, sie zu fotografieren und schon kurz darauf stand sie im Februar für Porträtaufnahmen in meinem Atelier. Wie üblich bei mir, nicht ohne mich vorher ausgiebig mit ihr zu unterhalten, was erfreulich kurzweilig geriet. Sie erzählte mir von ihren Zukunftsplänen als Pädagogin, vom Theater und vom Tanzen und wie sie all das miteinander verknüpfen wolle. Ein kreativer Freigeist mit der Bereitschaft, auch Hochemotionales nach außen zu tragen. Ich hatte den Eindruck, dass sie alles, was sie tut, mit Leib und Seele – und 100% Herzblut – macht. Ich mag solche Menschen. Es ist ein Privileg, sie fotografieren zu dürfen und ich hatte spontan die Idee, sie für mein „3 songs“-Projekt zu gewinnen.
 
Nun kann man es drehen und wenden wie mal will, aber „3 songs“ war (bzw. IST; denn eigentlich ist das Projekt ja nie offiziell beendet worden) ein Akt-Projekt und darauf hatte Rosalie damals so gar keine Lust. Wegen ihres künftigen Jobs und einfach weil nackt vor der Kamera nicht so „ihr Ding“ war. Entstanden sind dann an diesem Tag ein paar schöne Porträts, mit denen wir beide sehr happy waren. Und dennoch hätte es bis hierher nicht für einen eigenen Blog-Beitrag gereicht, aber die Geschichte mit Rosalie geht ja noch weiter …
 
 

 
 
Etwa sieben Monate nach unserem Shootingtag im Februar schrieb mich Rosalie an und ich freute mich, da ich sowieso vorhatte, mal wieder etwas mit ihr zu machen. Wenn ich interessante – und offenkundig derart kreative – Menschen kennenlerne, möchte es ungern bei dem einen Mal bewenden lassen und somit lief Rosalie bei mir offene Türen ein. Auch wenn mich ihre Nachricht zunächst etwas ratlos zurückließ; denn das, was sie da schrieb, verstand ich nur zum Teil: „Andreas, ich habe da so eine Idee und ich würde das gern mit Dir umsetzen. Kannst Du Dir vorstellen, mich bei einer Performance zu fotografieren, bei der ich das Gefühl „Lust“ auf ein Obst übertrage?
 
Machen wir uns nichts vor: natürlich hat man dann schon das ein oder andere Bild im Kopf, aber wir wissen auch, dass die Grenze zwischen Kunst und Kitsch (bestenfalls!) seeehr schmal ist. Die Gefahr, Bilder zu produzieren, für die man sich später (völlig zu Recht) schämt, ist schon relativ groß. Die weiteren Ausführungen von Rosalie, „man könne es ja ggf. auch auf Gemüse ausweiten„, machte es nicht unbedingt besser und als sie dann noch fragte, ob ich eine Dusche im Atelier und ggf. eine Folie zum Unterlegen habe – wegen der „Sauerei, die dabei u.U. entstehen könnte„, kam ich doch kurz in’s Grübeln …
 
Aber ich hatte Rosalie als sympathische junge Frau kennengelernt und überhaupt … manchmal muss man auch etwas riskieren …^^ (meine Risikobereitschaft ging allerdings nicht so weit, das Ganze in meinem Atelier zu machen und so mietete ich mir eine Location, in der wir die „Sauerei“ umsetzen konnten und die sogar über eine Dusche verfügte). Und so habe ich Rosalie an einem trüben Oktober-Tag im Jahr 2018 am Bahnhof abgeholt. Ausgestattet mit diversen Obstsorten, mehreren Quadratmetern Teichfolie und einem großen Messer. NATÜRLICH kam Rosalie am Vorabend unseres Shootings noch auf die Idee mit dem Messer und da sie selbst keine wirklich großen Messer besaß, fragte sie mich, ob ich denn eines mitbringen könne. Ich habe gar nicht erst gefragt, sondern einfach das größte Messer im Jornschen Haushalt eingepackt. Die hochgezogene Augenbraue der besten Ehefrau von allen habe ich jetzt noch vor Augen …^^
 
So standen wir dann also in unserer Location und alles war angerichtet für ein herrliches Gemetzel …^^
 
Einzig eine Frage brannte mir noch unter den Nägeln: „Rosalie, sag mal … wie hast Du Dir das vorgestellt … dieses Thema und dann Deine Einstellung zur Nacktheit vor der Kamera … ich habe gerade Schwierigkeiten, das unter einen Hut zu bekommen …„, worauf Rosalie erwiderte „ach so … nee, Teilakt ist kein Problem und irgendwie ja auch erforderlich für das Projekt … Scheiss drauf! Nur der Schlüppi bleibt an!“ Na dann …
 
 

 
 
Jetzt sollte ich vielleicht noch erwähnen, dass wir schon damals vor dem Shooting verabredet hatten, dass wir vielleicht zwei oder drei Shootings zu dem Thema machen werden, um verschiedenes Obst (und ggf. auch Gemüse) durchzuprobieren, von dem wir nur z.T. erahnen konnten, wie „fotogen“ die unterschiedlichen Sorten sein würden. Zudem kann man das, was wir vorhatten, kaum länger als eine Stunde (plus Pausen) machen, da man anschließend im wahrsten Sinne des Wortes „durch“ ist. Lange Rede, kurzer Sinn: beim zweiten „Obst“-Shooting stand Rosalie dann auch ohne Schlüppi vor der Kamera. Und das kam so …:
 
So sehr ich bis zum Beginn des Shooting noch im Ungewissen war, in welche Richtung all das gehen würde und ob es mir gelänge, etwas zu produzieren, was uns BEIDE zufriedenstellt, so sehr lösten sich die Bedenken schon nach kurzer Zeit auf, als wir es einfach laufen ließen. Schon die ersten Ergebnisse (ich glaube, es war mit einer Orange) haben uns gezeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Das Fensterlicht in der Location, zusammen mit dem rustikalen Holzboden und rauen Wänden bildeten perfekte Bedingungen für unsere Bilder. Wenn da nicht hin und wieder das Höschen gestört hätte … Zwar konnte ich oft so schneiden, dass es nicht zu sehen war, aber eben nicht immer. Ich hatte mich schon damit abgefunden, als Rosalie mir Feedback für die Bilder gab, die ich ihr als Ergebnis im Anschluss an unser ersten Shooting schickte. „Gefällt mir alles sehr gut, Andreas … aber findest Du nicht auch, dass der Schlüppi stört auf den Bildern …?
 
Und genau so wie Rosalie immer mutiger wurde, wurde auch ich beim Ehrgeiz gepackt, wenn es darum ging, zu überlegen, an welches Obst oder Gemüse wir uns denn beim nächsten Mal trauen wollten. Sagen wir so: nicht alles war gleichermaßen gut im Ergebnis, aber wir hatten wirklich eine Menge Spass. So viel Spass, dass wir uns zwischen Oktober 2018 und Juli 2019 insgesamt 6 (!) mal getroffen haben für unser Projekt – mit dem interessanten Nebeneffekt der ständig wechselnden Frisuren Rosalies. Manches Obst war öfter dabei, so manches Obst und Gemüse haben wir nach einem Mal wieder verworfen …
 
Die größte Herausforderung für uns war von Beginn an ein besonderes Obst: die Banane. Ich weiss noch, wie wir beide in einem frühen Stadium der Planungen sagten „okay, Banane geht natürlich gar nicht, weil viel zu klischeebeladen und platt und überhaupt … nee, das machen wir nicht …“ – nur um kurze Zeit später festzustellen „wenn’s einfach wär, könnt’s ja jeder – gerade DAS wäre doch eine schöne Herausforderung!“. Und dann hatte Rosalie die Idee mit dem Messer …
 
 

 
 
Ein kleiner Teil der Ergebnisse unsere Projekts habe ich Anfang 2019 in meinem Bildband „diversity“ veröffentlicht und ein Bild hat es sogar in meine diesjährige „black is the color“-Ausstellung geschafft – alles andere blieb bis jetzt in der Schublade. Zeit, es da endlich rauszuholen …
 
AJ
 
 
 


 
 
 
 
 
PS: letztes Jahr habe ich Rosalie im Rahmen meines „KaffeeKuchenKamera“-Projekts erstmals zu Hause besucht – und natürlich haben wir auch ein paar Fotos gemacht. Dieses Mal ganz ohne Obst und Gemüse …^^
 
 

 
 
 
 
 
 
 
In meinem neuen Blog „Aus dem Nähkästchen“ gebe ich einmal pro Monat einen Einblick in meine Arbeiten, die größtenteils unveröffentlicht sind. Bilder, die ich andernorts nicht zeigen kann oder will. Bilder, die bei meinen Print-Publikationen möglicherweise hintenüber gefallen sind, weil sie nicht in’s Konzept oder die Geschichte passten. Bilder, die Teil eines Projekts waren, das ich dann doch nicht mehr weiterverfolgt habe. In jedem Fall aber Bilder, die mir am Herzen liegen. Hin und wieder garniert mit einer kleinen Hintergrundgeschichte – nicht allzu technisch, dafür aber immer mal mit einem Augenzwinkern. Wenn man so will, stellt das „Nähkästchen“ einen gewissen Paradigmenwechsel für mich dar, da ich in den letzten Jahren online stets nur sehr wenig von dem gezeigt habe, was ich fotografiere – um es mir für eine evtl. Print-Publikation aufzusparen. Ich bin aber zu dem Entschluss gekommen, dass zu langes Liegen in der Schublade auch nicht gesund ist und da ich nicht zwei mal im Jahr ein Buch herausbringen kann und will, gibt es jetzt also regelmäßig hier etwas zu sehen. Über jedwedes Feedback würde ich mich sehr freuen!

PS: HIER geht’s zu Folge #01 meines „Nähkästchens“ …

6 Beiträge zum Thema "Aus meinem Nähkästchen #02"

  • Ich habe heute Radio Jorns Folge #66 gehört und die „Kritik“ zu den Bildern. Ich finde nicht, dass die Bilder nicht zu dir „passen“, dass ich sie nicht erwartet hätte – die partielle Unschärfe, der Bildstil und auch die Art und Weise „Licht zu setzen“ sind doch genau deine Sprache in den Bildern.
    Danke, dass du diese Bilder mit uns teilst – auch wenn ich wahrscheinlich die Anzahl noch enger gewählt hätte – vielleicht auch deswegen, weil ich nicht alle Bilder mir gefallen. Aber wahrscheinlich ist es genau die Herausforderung – im Gegensatz zu den Bildbänden – hier mal mehr zu zeigen – Danke dafür.
    Liebe Grüße aus Linz

    Michael P.

  • Liebe Rosalie, lieber Andreas,
    eure Serie hat mich echt umgehauen. Das ist das Beste, was ich seit langem gesehen habe. Ich bin absolut begeistert.

    Michael

  • Hallo Andreas,
    es ist wirklich ein Geschenk, wie Du hier aus dem Nähkästchen plauderst und Deine Leser mitnimmst in die Geschichte hinter den beeindruckenden Bildern. Die Fotos, die in „diversity“ abgedruckt waren, hatten mich schon beeindruckt und ich freue mich darüber weitere aus euren Treffen hier sehen zu dürfen. Für meinen Teil kann ich sagen: „Es ist kein Kitsch geworden!“
    Ich freue mich auf weitere Geschichten und bleibe treuer Leser, Hörer und Bildergernseher!
    Grüße aus Franken
    Marcus

    Marcus

  • Toll! Einfach klasse! Das ist schon sehr erotisch–aber stilvoll und künstlerisch. Kompliment an Euch Beide.

    Georg Berrisch

  • Ästhetisch wie immer ausgezeichnet, finde ich, dass Ihr Klischees dabei in der Tat auch noch erfolgreich umschifft habt. Und zum Thema Wäsche: diese Teile im Bild finde ich oft weniger dezent als keine Textilien. Bravi!

    Joachim (aka mylenwyd)

  • Meine liebe Rosalie, mein lieber Andreas,
    toll, toll, toll, einfach genial was ihr da geschaffen habt.
    Es sind wirklich tolle, beeindruckende Bilder dabei heraus gekommen.
    Selbst wenn jemanden Nacktheit stören sollte, was bei mir nicht der Fall ist, gibt es nichts was irgendwie komisch verstanden werden könnte.
    Tolles Projekt!

    Ganz großes Kino.

    Ingo Rövenstrunk

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