„Ganz schön viel Werbung. Du musst es ja nötig haben.“

Ja, habe ich! Und Du hast keine Ahnung von der Selbständigkeit!
 
Wo fange ich an? Es ist vielleicht an der Zeit, mit der ein oder anderen Legendenbildung aufzuräumen. Es gibt viele Menschen. die offensichtlich glauben, dass mir die Sonne aus dem Arsch scheint: hier eine Bildbandveröffentlichung, dort eine Reise nach Schlagmichtot, dann die „Erfolgsgeschichte“ meines Fine-Art-Magazins „aj“ und überhaupt „hat er immer nur die schönsten Frauen vor der Kamera – und meistens auch noch nackt“. Mehr geht ja nun wirklich nicht ..
 
 

 
Ich stelle fest: mir scheint die Sonne NICHT aus dem Arsch! Wie wahrscheinlich jeder andere Selbständige auch bin ich ständig am Rudern, wie (fast) jeder Fotograf habe ich meine Ups and Downs. Es ist immer wieder hart, wenn ein Projekt nicht so funktioniert wie man es sich vorgestellt hat und es kostet sehr viel Blut, Schweiss und Tränen, ein Projekt zum „Erfolg“ zu bringen – wobei ich für mich „Erfolg“ sehr (!) viel bescheidener formuliere, wie es sich die meisten Aussenstehenden überhaupt vorstellen können – aber dazu später mehr. Beschwere ich mich? Nicht einmal im Ansatz! Ich bin einer der glücklichsten Menschen der Welt, habe die beste Ehefrau von Allen und ich habe mich aus freien Stücken entschieden, mit dem, was ich gern mache, meine Brötchen zu verdienen. Dass dies deutlich kleinere Brötchen als in meinem alten Beruf sind, habe ich von Anfang an gewusst. Und damit komme ich gut klar – auch Dank der Unterstützung der besten Ehefrau von Allen. Aber es scheint doch an der Zeit, einmal darauf hinzuweisen, dass einem als freischaffender Fotograf nichts geschenkt wird. Im Gegenteil! Ohne die Bereitschaft von Investitionen – zum Teil erheblichen Investitionen – geht einfach nichts. Jede neue Ausgabe von „aj“ kostet Geld, jeder neue Bildband kostet Geld – wir reden bei Letzterem von deutlich fünfstelligen Beträgen! Du kannst nicht zur Druckerei gehen und sagen „mach erst mal nur 50 Stück – ich weiss noch nicht, wie sich das verkauft“ – die fangen im Prinzip erst ab einer Auflage von 1.000 Exemplaren an, darüber nachzudenken (zumindest wird es ab solchen Auflagen wirtschaftlich interessant).
 
 

 
Wie die (wenigen) anderen Kollegen, die ihre Arbeiten regelmässig in gedruckter Form an den Mann (resp. die Frau) bringen, arbeite auch ich ohne Netz und doppelten Boden. Kein Verlag, kein Sponsor, kein Crowdfunding. Eigenvertrieb und Selbstvermarktung heissen die Zauberworte. Und da liegt dann auch schon der Hase im Pfeffer – wenn Du nicht reichlich und gut „trommelst“ passiert genau … NICHTS! Schalte ich nur für zwei Wochen keine Werbung, gerät in Vergessenheit, dass es mich gibt bzw. dass ich Bildbände und Magazine zu verkaufen habe. So sind die Zeiten und offen gestanden ist das nicht wirklich neu. In meinen Zeiten als Unternehmensberater habe ich mittelständische Unternehmen auch in diesen Dingen beratend begleitet. Noch immer gilt, dass die gesündesten und am besten funktionierenden Unternehmen diejenigen mit dem höchsten Werbeetat sind. Es ist ein völliger Irrglaube, dass sich Konzerne wie Apple, Coca-Cola und Procter&Gamble auf ihren Lorbeeren (sprich Bekanntheitsgrad) ausruhen können. Folgerichtig sind dies die Unternehmen mit dem höchsten Werbeaufwand. Umgekehrt gilt, dass Du in 9 von 10 Fällen ein fusskrankes Unternehmen daran erkennst, dass es aufgehört hat, zu werben. Insofern ist die Aussage „Ganz schön viel Werbung. Du musst es ja nötig haben.“ einfach nur dämlich – sorry to say. Und offen gestanden geht mir das Bashing gegen die beworbenen Beiträge auf Facebook nicht nur deshalb schwer auf die Nerven – ganz offensichtlich wissen die Absender nämlich genau gar nichts darüber, wie es ist, als Selbständiger täglich auf’s Neue dafür zu sorgen, dass die Miete auch in drei Monaten wieder bezahlt werden kann …
 
 

 
Das ist auch einer der Gründe, warum mich Workshop-Stornos ärgern, die mit den Zeilen daherkommen „Bei mir passt es gerade doch nicht, aber Du hast ja bestimmt jede Menge Interessenten auf der Warteliste.“ … darum frustriert mich die Tatsache, dass ich bis zu zwei Monate dem Geld von Abonnenten meines Magazins hinterherlaufen muss. Ganz offensichtlich glauben viele Menschen, dass mir das Geld aus den Ohren läuft. Ich kann Euch eines versichern: KEINEM Künstler läuft das Geld aus den Ohren (die oberen 0.1% mal ausgenommen)! Insbesondere dann nicht, wenn er wie ich keine Auftragsarbeiten mehr macht. Dafür gebe ich hin und wieder Workshops – solange ich noch etwas zu sagen habe UND es wirklich sehr gern mache, werde ich das auch weiterhin tun. Es subventioniert mir die Print-Produkte und und deswegen bin ich sehr dankbar, dass ich dies in dieser Form tun kann und dass so viele fotografiebegeisterte Menschem zu mir kommen, um zu erfahren, wie ich es mache und warum ich es mache. Und wenn jetzt der ein oder andere sagt „Stopp, Moment mal – wieso musst Du die Print-Produkte denn überhaupt subventionieren? Verdienst Du da nicht mehrere Fantastilliarden mit?“, entgegne ich „leider nein, leider gar nicht …!“.
 
Schaffen wir mal Fakten: mir geht es gut – ich kann/will mich nicht beklagen. Und dennoch … von Ausgabe Nr. 1 von „aj“ habe ich Stand heute (14 Monate nach Veröffentlichung) ca. 800 Exemplare verkauft (und somit nähern wir uns so langsam aber sicher dem Ende des Bestands), von Nr. 2 ca. 500 Exemplare und von Nr. 3 ca. 300 Exemplare. Bedeutet, dass ich mit #01 einen kleinen Gewinn erwirtschaftet habe, #02 deckt mit seinen Verkäufen die Gestehungskosten und die Verkäufe von #03 decken bisher nicht einmal die Druckkosten. Das ist die traurige Wahrheit. „Traurig“ deswegen, weil mich der ein oder andere vielleicht schon auf dem Weg zur ersten Million gewähnt hat. Ist nicht der Fall. Wird nicht passieren. Noch mal: für die Million hätte ich definitiv in meinem alten Beruf bleiben müssen. Stellen wir fest: Summa Summarum ist das Printmagazin ein Nullsummenspiel. Die Produktion ist einfach zu teuer (weil ich nicht mehr als 1.000 Exemplare abnehmen kann/will) und meine Qualitätsanforderungen sind einfach zu hoch. Wenn ich es nicht in der Qualität drucken lassen kann, mache ich es gar nicht. Flyeralarm und Co. sind keine Option! Und wisst Ihr was? Ich bewerte die genannten Zahlen – immerhin reden wir hier von einer Geschichte, die gerade erst ein gutes Jahr am Markt ist – als grossen Erfolg! Ich bin sehr happy damit! Der Markt für Bildbände und Fine-Art-Magazine ist klein – eine wirklich Nische. Und deshalb können sich die genannten Zahlen auch durchaus sehen lassen – auch wenn der ein oder andere Aussenstehende vielleicht mit ganz anderen Mengen gerechnet hat.
 
 

 
Und deswegen mache ich auch weiter mit „aj“. Natürlich mache ich weiter mit „aj“! Das ist mein Baby und ich liebe es … Basta! Aber es ist kein Selbstgänger! Natürlich ist es kein Selbstgänger! Und deswegen mache ich dafür Werbung! Weil es etwas ganz Großartiges ist und weil ich will, dass es „Jeder“ erfährt, dass es so etwas gibt. Damit, dass es Menschen gibt, die mein Zeug nicht mögen, kann ich gut leben – ehrlich! Jammerschade finde ich, dass es so viele Menschen gibt, die nicht davon wissen. Also versuche ich, diese Menschen zu erreichen. Deshalb werde ich erstmals nach einer Bildband-Veröffentlichung in diesem Jahr auf Reisen gehen, um den Menschen davon zu erzählen. Und ich mache das sehr gern! A pro pos: im Juli erscheint er, mein neuer – mein dritter – Bildband und ich habe schon an anderer Stelle hin und wieder erwähnt, wie wichtig er mir ist. Und weil er mir wichtig ist, investiere ich alles in allem einen schicken Mittelklassewagen in dieses Projekt. Verständlich, dass ich dann ein gesteigertes Interesse daran habe, auch das ein oder andere Exemplar zu verkaufen. Was nichts anderes bedeutet, dass Ihr ab dem Frühjahr wieder den ein oder anderen „Werbebeitrag“ von mir sehen werdet. Seid dann bitte nicht genervt! Teilt diese Beiträge stattdessen in Eurem Freundeskreis und sorgt so dafür, dass sie noch mehr zu sehen bekommen. Je mehr Verbreitung meine Beiträge haben, desto weniger muss ich davon schalten … ;)
 
So sieht es also aus als Fotograf – zumindest wenn er sich zunehmend der künstlerischen Fotografie verschreibt und keine Auftragsfotografie mehr macht. Möglicherweise sieht es bei den Kollegen, die eine andere „Strategie“ fahren, ganz anders aus und ihnen scheint tatsächlich die Sonne aus dem Arsch – wenn dem so ist, habe ich mich jetzt halt allein zum „Deppen“ gemacht. So ganz glauben mag ich das allerdings nicht …
 
In diesem Sinne: bleibt mir gewogen und haltet die Ohren steif!
 
Euer Andreas