Analog ist schön. Digital aber auch.

Ich bin kein modischer Mensch. Ich habe keine Ahnung von Mode. Vielleicht ist das auch der Grund, warum ich Hypes jeder Art misstraue. Manchmal gehen sie mir auch auf den Sack. Als einen solchen Hype empfinde ich in letzter Zeit zunehmend die analoge Fotografie – oder HALT: NICHT die analoge Fotografie an sich, sondern das Gewese, das darum gemacht wird. Wie dogmatisch teilweise die Diskussionen diesbezüglich geführt werden: über die vermeintliche Überlegenheit der analogen Fotografie hinsichtlich künstlerischem Wert, Kreativität und Nachhaltigkeit. Ich sehe das nämlich ein wenig anders.
 
Dabei liebe ich es, analog zu fotografieren! Das echte Filmkorn, das entschleunigte Arbeiten, die schön durchzeichneten Lichter – es gibt viele Argumente, die andere schon viel besser zusammengetragen haben. Ich liebe es aber auch, digital zu fotografieren! Kein Filmwechsel, der den Flow unterbricht und einmalige Low-Light-Fähigkeiten – um nur zwei der Argumente zu nennen, die für mich relevant sind. Gute Bilder entstehen bei mir mit beiden Techniken, einsetzen tue ich sie intervallartig – mal so, mal so. In den letzten Jahren mit einer Tendenz PROdigital (in den letzten Wochen 100% analog).
 
Aber eigentlich ist das ja völlig egal und es sollte in der Diskussion über die fotografische Leistung eines/r Künstlers*In (oder gar deren Bewertung) auch gar keine Rolle spielen. Tut es aber bei vielen Menschen vor und hinter der Kamera offensichtlich doch und nicht wenige setzen analog mit künstlerisch hochwertiger gleich. Ich habe lange darüber nachgedacht und bin zu dem Schluss gekommen, dass das Unsinn ist. (Anm. sie kann durchaus „wertiger“ sein, aber auch nur dann, wenn am Ende ein Unikat wie ein Barytabzug oder eine Wetplate-Aufnahme steht – also der gesamte Prozess bis zum gezeigten Ergebnis analog ist)
 
Natürlich wurden die Ikonen der Fotografie – die berühmtesten Bilder der letzten 100 Jahre – auf Film fotografiert hat, aber das liegt vor allem daran, dass die Digitalfotografie noch vergleichsweise jung ist und für die allermeisten Fotografen*Innen erst seit ein paar Jahren eine ernsthafte Alternative darstellt. Das Argument „früher (in analogen Zeiten) waren die Bilder besser, die Qualitätsdichte viel höher“ stimmt nämlich allenfalls bedingt: während heute JEDER seine Bilder unkuratiert und ungefiltert auf Facebook und Co. veröffentlichen kann, war in analogen Zeiten (Prä-Internet) eine Publikation (über den Friends & Family – Kreis hinaus) nur jenen vorbehalten, die damit ihr Geld verdienten. Veröffentlicht wurde somit (meistens) nur das, was wirklich gut war. Heutzutage werden nicht nur deutlich (!) mehr Bilder gemacht, sondern auch erheblich mehr veröffentlicht. Dass das zu Lasten der Qualität gehen MUSS, liegt auf der Hand. Während Ansel Adams noch davon sprach, dass 12 gute Bilder pro Jahr eine gute Quote seien, werden heute nach jedem noch so beliebigen Fotoshooting innerhalb von 24 Stunden die „Top20“ hochgeladen.
 
Genau HIER setzt auch das (für mich) wichtigste Argument PROanalog an: fotografieren auf Film erzieht jede(n) Fotograf*In, bewusster zu fotografieren. Film (und Entwicklung) kostet Geld und bestenfalls ist nach 36 Aufnahmen erst mal Schluss (und Filmwechsel angesagt). Und tatsächlich ist genau das auch der Grund, warum ich jedem/jeder Anfänger*In der Fotografie empfehlen würde, eine gewisse Zeit mit Film zu fotografieren. Bewusstes Fotografieren, Konzentration auf das Motiv und zeitliche Entkopplung von Bilder MACHEN und Bilder SICHTEN sind Dinge, die man nirgends besser lernen kann als mit der analogen Fotografie.
 
ABER das heisst natürlich NICHT, dass man all das nicht auch machen kann, wenn man digital fotografiert! Die Kunst in der digitalen Fotografie besteht darin, sich nicht alles von der Technik abnehmen zu lassen. Falls man das nämlich tut (und seine eigenen Augen, seine Konzentration und seine Kreativität zu Hause lässt), fertigt man bestenfalls Gebrauchsfotografie an – austauschbar und seelenlos. Schuld ist dann aber nicht die digitale Technik – Schuld hat immer der Mensch hinter der Kamera. Ein(e) sehr gute(r) Fotograf*In wird sowohl analog als auch digital herausragende Fotos machen. Und beim Einsatz der digitalen Technik deren Vorteile zu schätzen wissen (Ausnahmen bestätigen die Regel).
 
Möchte irgendjemand ernsthaft behaupten, dass die Bilder von Annie Leibovitz oder Peter Lindbergh schlechter geworden sind, seitdem sie digital fotografieren? Die Wahrheit ist: es ist völlig egal, ob ein Bild analog oder digital entstanden ist! Ein gutes Bild ist ein gutes Bild ist ein gutes Bild! Basta!
 
„Andreas, ich finde es gut, dass Du wieder mehr analog fotografierst!“
„Wenn Du einen Bildband mit Analog-Aufnahmen machst, kaufe ich den!“
Andreas, ist das Bild analog oder digital gemacht?“

 
Während sich viele Fotografen*Innen darüber einig sind, dass mehr über Bildinhalte als über Technik diskutiert werden sollte, scheint dies für die Analogfotografie nicht zu gelten. Das Taggen von Bildern auf Instagram mit Filmmarken, Entwickler und sonstigem Gedöns gehört zum guten Ton (ich nehme mich da nicht aus, aber Einsicht ist ja der erste Weg zur Besserung), aber warum eigentlich? Ob der Entwickler geschüttelt oder gerührt wurde, sollte für die Bewertung des fertigen Bildes doch eigentlich keine Rolle spielen, oder? Natürlich sind derlei Infos im ein oder anderen Fall ganz interessant, aber in letzter Zeit verkommen sie zu einer Art „Gütesiegel“ für Bilder und das ist doch gelinde gesprochen Quatsch.
 
„Ich habe einen Bildband gemacht“
„aha …“
„Yep. Alles analog fotografiert.“
„WOW, das ist ja cool!“

 
Ich suche mir dann immer die nächste Tischkante, an die ich meinen Kopf hauen kann. Es geht also gar nicht mehr um Inhalte? Sondern darum, wie die Bilder entstanden sind? Ich finde das durchaus diskutabel. Ein langweiliges Bild bleibt auch dann langweilig, wenn es auf Film gemacht wurde – finde ich. Und da hilft es auch nicht, dass man abgelaufene Filme nutzt, bei Rossmann entwickeln lässt (inkl. 19ct-Abzüge, die man dann mit einen Aldi-Flachhbettscanner digitalisiert). Das sieht dann manchmal „interessant“ aus – langweilige Fotografie kann sie selten kaschieren. Und tatsächlich empfinde ich mittlerweile vieles von dem, was ich in den Analoggruppen in den sozialen Medien sehe als Effekthascherei. Dann schnappe ich mir einen Bildband von Vincent Peters oder Marc Lagrange – mit Bildern, denen man meist nicht ansieht, ob sie analog oder digital gemacht wurden. Und das ist auch gar nicht schlimm. Weil es nämlich völlig egal ist.
 
Dem steht gegenüber, dass nicht wenige Models ein Analog-Shooting als schöner/besser/wertvoller empfinden, aber woran liegt das eigentlich? Bei näherer Betrachtung liegt das oft an den Aspekten, die ich eingangs erwähnte: Fotograf*In nimmt sich mehr Zeit, fotografiert bewusster, schaut nicht dauernd auf’s Display (genau genommen nie), fotografiert nicht stundenlang (irgendwann ist auch der letzte Film verknipst) und kommt gern mal im Anschluss mit gedruckten Aufnahmen um die Ecke. Also all das, was gute (Porträt-)Fotografie ausmacht. Woran man eine(n) Fotografen*In erkennt, der/die mit Leidenschaft und Herzblut bei der Sache ist.
 
All das kann man aber auch haben, wenn man digital fotografiert! Wenn man will. Und wenn man es kann. Und wenn man es nicht kann, kann man es lernen – wenn man nur will. Und da bietet es sich tatsächlich an, mal eine zeitlang analog zu fotografieren. Ich selbst gönne mir immer mal wieder analoge Pausen – ich kann mich mit der Analogfotografie gut runterfahren und neu „kalibrieren“. Ich greife dann anschließend aber auch immer wieder gern zum digitalen Equipment und fotografiere genau so gern damit. Ich mag mich einfach nicht festlegen.
 
Wem es hilft, analog zu arbeiten, um gute Bilder zu machen: go for it! Wem das analoge Fotografieren Spass macht (und ich kann das gut verstehen): weitermachen! Das bedeutet aber nicht, dass der/die Kollege*IN, die digital unterwegs sind, schlechter/unkreativer/weniger künstlerisch sind. Fragt also nicht „Bist Du Analog- oder Digitalfotograf“, sondern „kann ich mal ein paar Bilder sehen“? In gedruckter Form, versteht sich! Soviel analog muss dann schon sein in der Fotografie …