aj’s trivia (#78)

Foto: Yasemin Roos
 
aj’s trivia*
(Folge 78)
 
*trivia: „wissenswerte Kleinigkeiten, „dies und das, manchmal auch Kurioses“ [Wikipedia]
 
Freitag, kurz nach 14 Uhr und ich stelle fest, dass ich jetzt beinahe zwei Stunden für diesen einen Satz gebraucht habe. Manchmal läuft’s so richtig beim Schreiben. Bergab und rückwärts, aber Hauptsache, es läuft … Dabei ist es ja gar nicht so, dass mir nichts einfällt – das Gegenteil ist der Fall. Mir fällt ganz viel ein. Vor allem ganz viel durcheinander. Völlig unstrukturiert. Und überhaupt muss ich gerade erst noch mal die Lyrics zu dem Song googlen, den ich da gerade in Dauerschleife höre. Nicht, dass mein Englisch so schlecht wäre, aber hin und wieder verstehst Du die Interpreten einfach nicht. Wer sich über Till Schweiger aufregt, dass er zum Nuscheln neigt, hat noch nie die einschlägigen Singer-Songwriter gehört, bei denen man sich hin und wieder fragt, ob sie nicht vielleicht doch in einer ganz anderen Sprache singen. So was wie Sanskrit oder so. Das beherrsche ich nämlich nicht so gut. Ich habe das Gefühl, dass ich ein wenig abschweife, aber so geht’s mir jetzt halt schon geschlagene zwei Stunden – zwei Stunden, in denen ich nebenbei an meiner neuen Spotify-Playlist bastle, aber dazu später mehr …
 
Seit der letzten trivia sind zwei Wochen vergangen und die waren geprägt von zwei besonderen Vorkommnissen. Etwas ganz Wunderbares und eines, das mit „pain in the ass“ nur relativ unzureichend umschrieben ist. Besser kann man die Selbständigkeit – gerade als Fotograf – nicht auf den Punkt bringen. Du schwankst regelmässig zwischen „himmelhochjauchzend“ und „zu Tode betrübt“ und je länger Du das machst, desto grösser werden die Amplituden – zumindest kommt es mir so vor. Aber wisst Ihr was? Das ist auch gut so! Wenn man mal davon absieht, dass „immer nur Scheisse“ auch irgendwie … na ja … halt Scheisse ist, ist „immer nur alles toll“ wahrscheinlich auf Dauer auch nicht erfüllend. Oder anders gesprochen: die Ups kannst Du viel besser und intensiver geniessen, wenn Du die Downs auch kennst (weshalb ich auch ein grosser Fan unserer Jahreszeiten bin – wer will denn schon IMMER Sommer?). Wer diese Amplituden kennt, wird zwangsläufig auch den Erfolg mit einer gewissen Portion Demut geniessen – ein Wort, dass leider allzu viele Mitmenschen offensichtlich erst mal googlen müssen …
 
Eine Woche Buchhaltung am Stück – das will eigentlich keiner. Ich hab’s gemacht und meine gesamten Belege 2017 aufgearbeitet (geordnet und gebucht). Eine Arbeit für Jemanden, der Vater und Mutter erschlagen hat, aber man kommt eben nicht drumherum und ich hatte es jetzt lange genug aufgeschoben – letzte Woche musste es also sein und so dass ich jeden Tag schwitzend, stinkend und fluchend an meinem Schreibtisch und war relativ unleidlich. Die beste Ehefrau von Allen tat das, was man in solchen Situationen am Besten tut: mich in Ruhe lassen – wissend, dass irgendwann alles wieder gut wird. Und so war es – jetzt ist wieder alles schick und der Programmumstieg, der diese Arbeit überhaupt erst erforderlich gemacht hat, hat sich am Ende des Tages doch gelohnt. Ein Vorkommnis aus der Abteilung „pain in the ass“ … da gibt’s nichts dran zu deuteln (es soll ja Menschen geben, die glauben, dass die Hauptbeschäftigung eines Berufsfotografen das Fotografieren ist … hahahahahahaha … das notiere ich mir direkt mal für meinen Vortrag bei den Düsseldorfer Gymnasiasten im November – solche „urban legends“ kommen ja immer ganz gut …).
 
 

 
Was Ihr hier seht, ist der Auftakt zu einem Artikel, der in dieser Woche im SCHWARZWEISS Magazin (Ausgabe 126) erschienen ist. Meine zweite Cover-Story und ich platze fast vor Stolz – zumal ich dieses wirklich großartige Magazin selbst seit ca. 20 Jahren lese. Schön vor allem: es ist nicht einfach nur ein Artikel über meinen Bildband „come undone“, garniert mit den immer gleichen Fragen und Bildern. Das Geschriebene zeigt, dass sich der zuständige Redakteur offensichtlich intensiv mit meiner Arbeit auseinandergesetzt und diese auch verstanden hat – seine Bildauswahl für diesen Artikel ist in meinen Augen perfekt.
 
Da war er also: dieser wunderbare Moment – eine rekordverdächtige Amplitude: eben noch fluchend zwischen Tonnen von Papier und dann kommt das Belegexemplar vom Verlag und Du fühlst Dich wie King of Kotelett. Mit einer grossen Portion Demut und Dankbarkeit – nichts als gegeben oder als selbstverständlich hinnehmen. Man braucht einfach eine unverschämt große Portion Glück – wer etwas anderes behauptet, lügt. Natürlich gehört Fleiss, Leidenschaft (!) und ein bisschen Talent dazu, aber man braucht irgendwie auch ein bisschen Glück – oder ein gut gefülltes Karma-Konto. Und Menschen, die Dich mögen und unterstützen. Menschen wie Robin, der jedem, der es nicht wissen will, erzählt, was ich für ein begnadeter Fotograf und coole Socke bin. Und dass man gefälligst über mich schreiben soll. Ein verrückter Kerl, dem ich ewig dankbar bin; denn … ich kann das einfach nicht. In der Redaktion anrufen und sagen „Hallo, mein Name ist Andreas Jorns und ich bin so töfte, dass Ihr über mich schreiben müsst!„. Wer macht denn so was? Welcher Künstler hat denn solche Eier? Meine sind irgendwie doch normal gross, schätze ich. Definitiv aber zu klein, um mich selbst anzupreisen. Nicht falsch verstehen: ich bin nicht völlig untauglich, was die Vermarktung angeht – sonst würde ich meine Bildbände ja nicht an den Mann respektive an die Frau bringen. Das kann ich und das mag ich in einem gewissen Rahmen auch: über meine Arbeit sprechen! Da entwickle ich wahrscheinlich die Portion Leidenschaft, die dafür notwendig ist. Mich selbst nehme ich nicht ganz so wichtig – insbesondere weil ich weiss, dass es viele andere großartige Kollegen und Kolleginnen gibt, die allesamt meinen Respekt haben – man muss ja nicht alles mögen, aber Respekt ist irgendwie schon wichtig. Wobei ich gestehen muss, dass ich Diejenigen ein bisschen lieber mag, denen die Vokabel „Demut“ nicht gänzlich unbekannt ist.
 
Leidenschaft finde ich toll, aber wenn man allzu breitbeinig daher kommt und mit Superlativen nur so um sich schmeisst, werde ich regelmässig skeptisch. „Der Grösste“, „die „Schönste“, „das Beste“ – Superlative sind ja irgendwie en vogue und ich kann damit nicht allzu viel anfangen. Insbesondere in der Fotografie – wie ganz allgemein in der Kunst – ist kein Platz für Schwanzvergleiche … finde ich. Macht etwas Gescheites – kompromisslos, leidenschaftlich – und stellt nicht die Verpackung über den Inhalt. Dann werdet Ihr auch gehört – und zwar nachhaltig. Heute wollen alle über Nacht zum Superstar werden – in den diversen Casting-Shows wird ja suggeriert, dass das klappt und mittlerweile gibt es ja sogar eine mediale Resterampe für die, die es in diesen Shows nicht schaffen, aber das reale Leben sieht immer noch anders aus. Ich sag nur AMPLITUDEN! Und findet Euch vor allem damit ab, dass „Erfolg“ unfassbar relativ ist. Ich persönlich geniesse zwar den „Erfolg“ der Publikation in Magazinen wie „FineArtPrinter, „ProfiFoto“ und „SCHWARZWEISS“ in diesem Jahr, was mich aber so richtig happy macht, ist die Tatsache, dass ich wieder richtig Bock auf die nächsten Projekte habe. Dass die Kreativität wieder da ist und dass ich wieder Spass daran habe, mich auf neue Menschen einzulassen, um mit ihnen was Tolles zu zaubern. Dass ich meine Fotografie weiterentwickeln und mit meiner Arbeit zufrieden sein kann. Alles andere kann man eh kaum beeinflussen.
 
Was mich auch regelmässig demütig macht, hat viel mit meiner zweiten Leidenschaft – der Musik – zu tun. Immer wieder entdecke ich Künstler (oder ich entdecke sie neu wie im Fall von „Songs: Ohia“, von denen ich heute erzählen will), die so unfassbar großartige Musik machen und denen nie der Erfolg zuteil wurde, der ihnen eigentlich „zusteht“ (wenn es nach mir ginge). Und dennoch muss man nicht davon ausgehen, dass diese Musiker ihre Sachen irgendwie weniger mögen – ich glaube, es ist meistens vielleicht sogar das Gegenteil der Fall. Sie machen ihr Ding, registrieren irgendwann, dass es die breite Masse nicht goutiert und machen trotzdem genau so weiter. Und leben damit, dass sie keine „Superstars“ werden. „Songs: Ohia“ klingt wie eine Band, ist aber eigentlich nur ein einzelner Typ: Jason Molina. Er hat im Jahr 2000 mit „The Lioness“ ein Album aufgenommen, das in einer gerechten Welt in jedem Plattenschrank stünde, aber da das Formatradio den Beyoncés und Justins vorbehalten ist, hat das mit dem Album so gut wie keiner mitbekommen. Davor und auch danach hat Jason Molina noch viele andere großartige Platten aufgenommen und dann ist er 2013 im Alter von nur 39 Jahren gestorben. Es ist eine verdammte Schande. Aber zum Glück bleibt seine Musik …
 
 

 
 

„And I look down and see the whole world
And it’s fading“

Jason Molina

 
 

 
„it’s fading …“
 
Die Songzeile – verbunden mit dem Bild von Josy – führt mich zu einem Thema, das mich zuletzt wieder bei meinem Workshop auf Usedom beschäftigt hat: „was macht eigentlich eine BildSTRECKE aus?“ oder auch „wie definierst Du eine GUTE Bildstrecke, Andreas?“. „Muss da eigentlich immer zwingend eine Geschichte erzählt werden?“. Die letzte Frage ist am Einfachsten zu beantworten: NEIN, eine Geschichte muss nicht erzählt werden. Für mich muss der Fotograf sogar aufpassen, nicht zu viel zu erzählen! Das klingt merkwürdig und als ich im April auf Mallorca mit Martin Krolop darüber gesprochen habe, hat er sich kaputt gelacht, als ich die Vokabel „auserzählen“ verwendet habe. Irgendwie war mir bis zu diesem Moment nicht klar, dass es dieses Wort eigentlich gar nicht gibt. Dabei trifft es (für mich) so schon den Punkt: Eine Geschichte, die „auserzählt“ ist, ist zu Ende. Ein Film, der auserzählt ist, ist zu Ende. Ein Bild oder eine Bildstrecke, das auserzählt ist, ist langweilig.

(übrigens nervt mich gerade die Tatsache, dass der WordPress-Editor jedes Mal mein „auserzählt“ rot unterkringelt …)

Ein guter Autor, ein guter Regisseur und ein guter Fotograf haben eines gemeinsam: sie schaffen es, mit ihren Werken, die Phantasie anzuregen! Wenn Leser und Betrachter in die Lage versetzt werden, das Gesehene selbst zu interpretieren – wenn ihnen dafür „Luft“ gelassen wird – dann hat man als Künstler ganz viel erreicht. Wir kennen das von der Aktfotografie – allzu plakativ ist halt schnell langweilig -, aber natürlich auch von der Porträtfotografie. Schönes Gesicht formatfüllend fotografiert wird schnell langweilig – zumindest aus fotografischer Sicht. Happy Ends in Filmen – insbesondere wenn von vornherein absehbar – sind schön für’s Gemüt, aber irgendwie auch langweilig. Ich liebe zum Beispiel Filme, die ein offenes Ende haben oder Bücher, die auf der vorletzten Seite noch mal eine irre Wendung bekommen und dann aufhören. Und so etwas gibt es auch in der Fotografie. Weshalb ich ein Fan von Abstraktion bin – weil es vermeidet, dass die Dinge zu schnell „auserzählt“ sind. Dazu gehört Unschärfe, verrückte Anschnitte, Bewegungen usw. – all das gehört in eine Strecke, wenn sie für mich interessant sein soll. Als Künstler hin und wieder nur Spuren zu legen, scheint mir ein probates Mittel auch in der Menschenfotografie zu sein. Ist das unbedingt massentauglich? Sicher nicht! Aber wer sagt, dass das so sein muss. In der Nische lebt es sich eigentlich ganz gut – für alles andere gibt’s ja das „Superstar“-Casting …
 
A pro pos Nische und Superstars: Bonnie „Prince“ Billy, The Black Heart Procession, Red House Painters, Stuart A. Staples, Will Oldham, Low, Peter Bradley Adams, Conor Oberst – um nur ein paar zu nennen. Ich wette mal, dass die meisten von Euch kaum einen Namen davon kennen. Dabei hätten diese Musiker es echt verdient. Auf Spotify habe ich eine kleine Playlist gebastelt, die Euch vielleicht die ein oder andere Perle entdecken lässt: Die Playlist heisst bezeichnenerweise „under the radar“ und wird künftig laufend von mir aktualisiert. Ich freue mich auf Euer Feedback!
 

 
 
Eine wichtige Sache zum Schluss: seit gestern Abend ist die Kommentarfunktion in meinem Blog wieder freigeschaltet – alle Beiträge können ein halbes Jahr kommentiert werden, anschließend wird „zu gemacht“. Einmal im Jahr werden alle Kommentare gelöscht, die älter als ein Jahr sind. Damit wird vermieden, dass ich mehr und vor allem länger personenbezogene Daten sammle als nötig, womit ich den Vorschriften der DSGVO Rechnung trage. Wer mir künftig also Feedback zu meinen Beiträgen geben möchte, muss mir keine Mail mehr schreiben (darf das aber natürlich trotzdem weiterhin tun), sondern kann einfach unter dem Beitrag kommentieren. Ausser dem Namen müsst Ihr auch keine Infos angeben – und selbst den könnt Ihr Euch ausdenken, wenn Ihr mögt. Ich freue mich auf Euer Feedback!
 
In diesem Sinne: haltet die Ohren steif und bleibt mir gewogen!
 
Cheers!
Andreas