aj’s trivia (#77)


Foto: Yasemin Roos
 
aj’s trivia*
(Folge 77)
 
*trivia: „wissenswerte Kleinigkeiten, „dies und das, manchmal auch Kurioses“ [Wikipedia]
 
Seit der letzten trivia sind fast sechs Wochen in’s Land gegangen und ich entschuldige mich dafür – die beiden anderen Blog-Beiträge, die ich in der Zwischenzeit verfasst habe, sind kein wirklicher Ersatz, dessen bin ich mir bewusst, und auch die Tatsache, dass ich für zwei Wochen eine plausible Entschuldigung vorweisen kann (wohlverdienter Urlaub mit der besten Ehefrau von Allen), macht’s nicht besser. Frustrierend für mich ist die Tatsache, dass es nicht daran lag, dass ich faul war oder dass mir nichts eingefallen ist, sondern, dass einfach viele andere Dinge dazwischen gekommen sind. Die letzten Wochen waren verrückt – wie eigentlich das ganze Jahr. Wo isses eigentlich hin, das Jahr? Wir haben Oktober und wahrscheinlich wache ich morgen auf und es ist Weihnachten. Hatte nicht mal irgendjemand behauptet, dass im Alter die Zeit langsamer vergeht? Wenn dem so ist, bin ich offensichtlich noch nicht alt. Auch eine schöne Erkenntnis …
 
 

 
Was also ist in den letzten sechs Wochen passiert: Da war der Urlaub in Italien – zwei Wochen mit dem Wagen durch Ligurien und die Toskana. Sehr empfehlenswert! Es sei denn, Ihr wollt im Urlaub abnehmen – für den Fall empfehle ich andere Reiseziele. Zum Beispiel Island – da ist das Essen so teuer, dass man sich diesbezügliche Eskapaden mehr als einmal überlegt. Natürlich haben wir auch wieder Rotwein aus Italien mitgebracht und natürlich schmeckt er zuhause wieder nicht so gut wie vor Ort. Ich glaube, ich trinke Rotwein wirklich nur noch in der Toskana. Ende, aus, Micky Maus.
 
Kurz nach dem Urlaub ging es für mich in diesem Jahr NICHT auf die Photokina (wie sonst all die Male vorher), sondern nach Usedom – meiner zweiten Heimat. Die zweite Ausgabe meines einwöchigen Workshops „Shoot your own mag“ stand auf dem Plan und tatsächlich war es genau so grandios wie bei der Premiere im März. Kein anderer Workshop schlaucht mich so sehr und kein anderer Workshop befriedigt mich so sehr. Es ist einfach fantastisch zu sehen, wie sehr sich jeder einzelne Teilnehmer während dieser Woche entwickelt – welche fotografischen Sprünge er macht. Raus aus der Komfortzone – viele wollen es, die wenigsten schaffen es und dieser Workshop erzwingt es quasi durch sein besonderes Konzept. Wenn man am Anfang der Woche jedem Teilnehmer ein Model zuordnet, mit dem er dann für den Rest der Woche zusammenarbeiten – ein eigenes Magazin erarbeiten muss, setzt das Dinge in Bewegung, von denen die Teilnehmer häufig selbst nicht wussten, dass sie dazu imstande sind. Der Reiz ein eigenes Magazin zu machen, hilft offensichtlich, den eigenen Schweinehund zu überwinden, und so haben die vier Teilnehmer in Zusammenarbeit mit meinen vier Models ziemlich tolle Dinge produziert. Jeder sein eigenes Magazin und ich denke, dass ich näherer Zukunft an dieser Stelle etwas davon zeigen werde; denn es macht mich stolz, wie gut die Ergebnisse tatsächlich geworden sind.
 
 

 
Anfang der Woche war ich dann in Uelzen – in dem Kino, in dem am 2. Dezember die grosse „come undone“ Veranstaltung stattfindet. Katharina und ich präsentieren ein letztes Mal unseren gemeinsamen Bildband, erzählen die Geschichte und die vielen kleinen Geschichten rund um die Entstehung und wir zeigen viele Bilder – auch solche, die es nicht in den Bildband geschafft haben. Und zwar zeigen wir sie auf einer riesigen Kinoleinwand (12×7 Meter)! Beim Testlauf am Dienstag ist mir echt die Kinnlade runtergeklappt! Alter Schwede … die Bilder so gross zu sehen, verursacht mir schon beim Schreiben darüber gerade Gänsehaut. Ich freue mich, dass wir die Möglichkeit haben und ich bin gerade dabei, noch ein wenig am Rahmenprogramm zu stricken. Ich würde mich freuen, sehr viele von Euch am 2.12. in Uelzen zu sehen – der Eintritt ist frei und die weiteren Infos werden bald bekannt gegeben. Aber bitte meldet Euch an (per Mail an info@ajorns.com) – anders geht es nicht!
 
Vorletzte Woche hatte ich eines der schönsten – weil überraschendsten – Erlebnisse in diesem Jahr, als ich meine Post aus dem Atelierbriefkasten fischte. Da fand ich einen Umschlag mit Belegexemplaren der Zeitschrift „FineArtPrinter“, die bereits im zweiten Quartal einen grossen Bericht über mich gebracht haben. Der Chefredakteur liess es sich nicht nehmen, für die aktuelle Ausgabe 4/2018 persönlich eine Rezension über „come undone“ zu schreiben – ohne Ankündigung und daher für mich völlig überraschend. Für ihn ist „come undone“ die Buchempfehlung des Jahres und ich musste mich beim Lesen tatsächlich erst mal setzen …
 
 

 
Dieser Bericht hat mich ehrlicherweise schon ein paar Tage beschäftigt. Du freust Dich, bist stolz und dankbar. Und dann denkst Du wieder drüber nach, wie Du weitermachst. Da ich nicht davon ausgehe, dass alle meine trivia-Leser auch meinen Podcast „BUNT“ hören (den ich gemeinsam mit Matthes Zimmermann mache), erzähle ich es gern auch hier: die nächsten Monate werde ich neben den Arbeiten an den nächsten beiden „aj“-Veröffentlichungen auch an einem Projekt mit alten und dementen Menschen arbeiten. Die Geschäftsführung eines Alten- und Pflegeheims in Süddeutschland fragte mich vor geraumer Zeit, ob ich Interesse hätte, die Bewohner zu porträtieren und ich habe spontan zugesagt, zumal ich relativ freie Hand bei der Umsetzung und die Unterstützung der Heimleitung habe.
 
Es gibt einfach keine Altersgrenze in der Porträtfotografie, weder hinter, noch vor der Kamera … natürlich nicht! Im Gegenteil: alte Gesichter haben natürlich viel mehr zu erzählen und ich freue mich, dass ich mit diesem Projekt, an dessen Ende eine grosse Ausstellung steht, auch mal eine andere Facette von mir zeigen kann. Seit Längerem bin ich darauf bedacht, nicht immer das Gleiche zu machen – in die immer gleichen Schemata zu verfallen. Die Versuchung ist gross, aber wenn man daraus ausbricht, entsteht eigentlich immer etwas Wunderbares. Menschenfotografie ist so vielfältig und warum soll man einen dementen Menschen nicht genau so schön und würdevoll fotografieren können wie einen nicht-dementen?
 
„Schöne Gesichter“ formatfüllend abzulichten ist das eine – gute/spannende Fotografie das andere. Was nicht bedeutet, dass man nicht auch schöne Gesichter spannend fotografieren kann, aber wenn man seine fotografische Motivation und sein Tun auf die Oberfläche (= das Aussehen) beschränkt, kratzt man eben nur an genau dieser. Wem das genug ist: prima! Wer dahingehend mit sich selbst hadert: genau hier könnte der Weg aus der kreativen Schaffenskrise liegen. Letztes Jahr habe ich drei Monate lang nur Männer fotografiert (eine Veröffentlichung steht noch aus) und jetzt halt alte Menschen. Die Frage ist: warum mache ich das immer in Abschnitten? Warum nicht wild durcheinander? Heute jung, morgen alt, vormittags Mann, nachmittags Frau – warum eigentlich nicht?
 
Ich habe das für mich relativ eindeutig geklärt – es ist nichts für mich. Ich denke lieber in Projekten, die ich über einen längeren Zeitraum begleite. Ich mache keine Auftragsarbeiten mehr; ich kann mir diesen Luxus leisten. Ich kann mich sehr viel besser in die Protagonisten einfühlen, in das Projekt – ich verarbeite die Dinge besser. Auch vor und nach den eigentlichen Fotoshootings. Ich höre in Abhängigkeit von den Projekten, an denen ich arbeite, auch unterschiedliche Musik. Musik, die mich für das jeweilige Projekt inspiriert. Ich lese sogar unterschiedliche Bücher. Bücher und Musik – seit geraumer Zeit meine wichtigsten Inspirationsquellen. Letzte Woche habe ich mich mit einer Workshop-Teilnehmerin unterhalten, die erzählte, dass sie gern viel liest. Sie berichtete davon, dass sie fast Panikattacken bekommt, wenn sie nicht genügend ungelesene Bücher zu Hause hat und ich kann sie sehr gut verstehen.
 
 

 
Was gibt’s noch? Seit wenigen Tagen bin ich Spotify-User und ich bin damit ein wenig über meinen Schatten gesprungen. Ich gebe zu: Streaming fand ich lange Zeit doof und nicht unterstützenswert – die Künstler profitieren meines Erachtens deutlich zu wenig davon und daher denke ich immer noch, dass man Musik, die man mag, kaufen sollte (möglichst auf Vinyl, versteht sich). Ich habe beschlossen, künftig einfach beides zu machen. Streaming zum Entdecken neuer Sachen (und dafür ist es einfach ganz wunderbar geeignet) und Vinyl für die tollen Sachen, die ich entdeckt habe. Könnte jetzt nur ziemlich gefährlich für mein Portemonnaie werden wenn ich sehe, was ich alles NICHT kenne und gut finde …^^
 
Meine eigenen Playlists sind noch im Aufbau, werde ich hier künftig aber ab und an verlinken. Den Anfang mache ich heute mal mit „whisky & wine“, einer Playlist, die viele meiner absoluten Lieblinge beinhaltet. Die Liste ist noch nicht sehr lang, aber das wird sich in näherer Zukunft ganz sicher ändern. Ich wünsche Euch beim Reinhören ganz viel Spass!
 
 

 
Ich hatte es vor einiger Zeit schon mal angekündigt und ich denke, dass sich der Zeitpunkt nähert, an dem ich damit beginne, mein nächstes Buch zu schreiben. Noch ist nichts zu Papier gebracht, allerdings kreisen die derzeit noch wirren Gedanken in meinem Kopf – wie immer gilt: der Anfang ist das Schwerste. Was ich bereits weiss: ich werde dieses Mal ohne Verlag arbeiten. Nicht weil mein Konzept keiner haben will (es gibt ja noch nicht mal eines), sondern weil ich diesmal autark bleiben will. Kein Reinquatschen, keine Zeitvorgabe, keine Leine – wie meine Bildbände werde ich das Ding einfach in Eigenregie produzieren und verkaufen. Es soll kein Fachbuch werden (wie meine letzten drei Bücher), sondern eher so etwas wie die trivia in Romanform. Keine Lichtskizzen, keine Exif-Daten, sondern einfach nur ein paar autobiographisch angehauchte Erzählungen, die meine Sichtweise auf die Fotografie zeigen. Und Musik wird natürlich auch eine Rolle spielen. Ob das Ding jemals fertig wird? Ob das Ding irgendjemand kaufen wird? Ich weiss es nicht, aber ich fange wohl einfach mal an und schaue, was passiert. Kann sein, dass es dazu führt, dass es deshalb hin und wieder eine Pause hier bei der trivia gibt, aber keine Bange – es geht immer weiter … versprochen!
 
In diesem Sinne: haltet die Ohren steif und bleibt mir gewogen!
 
Cheers!
Andreas