Foto: Yasemin Roos
aj’s trivia*
(Folge 41)
*trivia: „wissenswerte Kleinigkeiten, „dies und das, manchmal auch Kurioses“ [Wikipedia]
Schon wieder neigt sich eine Woche dem Ende zu. Eine Woche, die man gemeinhin unter „geht so“ kategorisieren würde. Aber zunächst das Positive: mein persönliches Projekt „von vollfett zu nur noch dick“ schreitet voran. Stand heute habe ich meinen Bauchumfang innerhalb von drei Monaten um 15cm reduziert. Und bin trotzdem aus medizinischer Sicht noch in der Abteilung „Risikopatient“ einzuordnen. Aber immerhin – ich las kürzlich, dass die Reduzierung von nur einem Zentimeter Bauchumfang das Risiko von Herz-/Kreislauferkrankungen um 5% verringert! Das muss ja bedeuten, dass ich bei weiteren 5cm „Bauchverlust“ quasi unsterblich werde (20×5%=100%), aber wahrscheinlich habe ich die Formel irgendwie falsch verstanden. Egal. Das war also das Positive abseits der Fotografie. Die Fotografie hat mir allerdings (zumindest mittelbar) auch ein wenig Stress bereitet – und zwar durchaus auch finanziell; denn: Mitte November fliege ich mit der besten Ehefrau von allen und drei tollen Models nach Venedig, wo ich auf sechs Workshop-Teilnehmer treffe, mit denen ich vier tolle Tage verbringen will. So weit, so gut. Allerdings wollte ich eigentlich mit Air Berlin fliegen – und wer die letzten Wochen nicht auf der dunklen Seite des Mondes verbracht hat, ahnt, was kommt. Um es kurz zu machen: ein vierstelliger Betrag löste sich quasi über Nacht in Rauch auf. Dafür fliegen wir jetzt mit Lufthansa – da gibt’s Gratis-Kaffee an Bord und man verschont mich mit diesen Scheiss Schokoherzen …
Aber genug des Trübal Blasens (bei Gelegenheit muss ich mal googlen, wo diese Redewendung eigentlich herkommt): beginnen wir mit dem Musiktipp der Woche – und der ist dieses Mal mindestens genau so was für’s Auge wie für die Ohren. Ich ordne das Musikvideo in die Kategorie „Oberhammer“ und „kann man sich mehrmals hintereinander anschauen“ ein. Aber seht (und hört) selbst:
Mein Thema der Woche ist mir praktisch mal wieder zugeflogen: und zwar in Form einer Produktankündigung verbunden mit einem Crowdfunding: ich spreche von der Yashica Y35, einer Kamera, die so herrlich absurd ist, dass ich nicht weiss, ob ich lachen oder weinen soll, während ich darüber schreibe. Infos findet Ihr u.a. HIER!
Eigentlich will ich gar nicht so viel über die Kamera selbst schreiben, sondern über die Faszination, die sie zumindest auf den ein oder anderen ausübt. Obwohl sie nicht mehr kann als die billigsten Digi-Knipsen, die es bereits auf dem Markt gibt. Im Gegenteil! Sie kann auch nicht mehr als analoge Kameras, die es gebraucht für einen Bruchteil des für die Yashica aufgerufenen Preises gibt. Im Gegenteil! Warum also interessieren sich Menschen für so etwas wie die Yashica Y35? Die Werbe-Kampagne ist gut gemacht (illustriert übrigens mit Bildern, die allesamt NICHT mit der Yashica, sondern einer Full Frame Kamera gemacht wurden – aber das nur am Rande) und spricht neben den einschlägigen Nerds, die sich erst mal für alles interessieren, was neu ist, auch Nostalgiker und Anhänger des Vintage-Trends an, der auch in Teilen der Fotografie zu sehen ist.
Aber Moment! Ist es überhaupt die Faszination Filmfotografie, mit der Yashica hier (mehr oder weniger geschickt) spielt? Ich würde sagen JEIN! Es ist weniger der Look der Bildergebnisse, um den es hier geht – es geht darum, dass man die Bilder, die man macht, NICHT sofort sieht (wie man es von der digitalen Fotografie kennt)! Forrest Gumps Mama hat es schon gesagt: „das Leben ist wie eine Pralinenschachtel – man weiss nie, was man bekommt„. Und so ist es in der (richtigen) analogen Fotografie: Du machst ein Bild und Du siehst das Ergebnis bestenfalls (bei eigener Entwicklung) ein paar Stunden später. Bei Otto Normalverbraucher sind es nicht selten mehrere Tage! Aber wieso ist das jetzt eigentlich so faszinierend? War es nicht einst der Hauptgrund für den Siegeszug der digitalen Fotografie? Die SOFORTIGE Verfügbarkeit der gemachten Bilder? Wieso zum Kuckuck soll das jetzt auf einmal wieder „chic“ sein, die Bilder nicht sofort sehen zu können? Warum wieder in die fotografische Steinzeit verfallen?
Nun, es gibt gute Gründe dafür und es gibt bekannte Fotografen, die das schon viel früher und viel besser auf den Punkt gebracht haben als ich – allen voran Anton Corbijn, einer meiner fotografischen „Helden“, wenn ich das so sagen darf. Anton fotografiert bis heute analog und er ist ein solch unfassbarer Nerd, dass er ausschliesslich den Kodak Tri-X verwendet – was ihn vor einigen Jahren in eine kurzzeitige Depression stürzte, als es nicht gut um Kodak stand und der Tri-X drohte, vom Markt genommen zu werden. Anton hat darauf hin 5 Industriekühlschränke angeschafft und weltweit alle Tri-X Restbestände der ihm bekannten Händler aufgekauft, um gewappnet zu sein, sollte Kodak tatsächlich vom Markt verschwinden (hatte ich erwähnt, dass er ein echter Nerd ist?) …
Corbijn wurde einst befragt, was er für den wesentlichen Vorteil der analogen gegenüber der digitalen Fotografie hält und er hatte die (damals für mich) erstaunliche Antwort, dass er den wesentlichen Vorteil der analogen Fotografie in der zeitliche Entkopplung von „Foto machen“ und „Foto gucken“ sieht. Und er führte weiter aus, warum das so ist. Sinngemäss sagte er, dass diese Entkopplung, dieses „nicht-sofort-auf-dem-display-sehen-was-man-fotografiert-hat“ dazu führt, dass man als Fotograf viel mehr im „hier und jetzt“ agiert – sich zwangsläufig viel mehr auf das Motiv konzentriert. Und es kommt aus seiner Sicht noch ein anderer – zumindest in der Porträtfotografie äusserst relevanter – Aspekt hinzu: die digitale Fotografie verführt zu einem Vorgehen des „ständigen Optimierens“. Man macht ein Foto, betrachtet es auf dem Display, findet möglicherweise gut, was man gemacht hat und sagt dann zum Model „okay, das war prima, aber wenn Du jetzt die rechte Schulter noch etwas runternimmst und das Kinn etwas höher, sieht es noch ein wenig besser aus“. Die digitale Fotografie verführt dazu, sich einfach nicht mehr VOR der Aufnahme Gedanken zu machen – nicht VOR der Aufnahme genau HINZUSEHEN! Und sie raubt durch das ständige Nachbessern anhand von bereits gemachten Aufnahmen das notwendige Mass an Unperfektion, die ein gutes Porträt häufig ausmacht. Nicht selten raubt sie jedwede Authentizität, die Porträts doch oft (fast immer) so gut tut.
Muss man deswegen zwingend analog fotografieren? Nein, das muss man nicht! Und NEIN – man muss auch kein Geld in solche sonderbare Kameras wie die Y35 von Yashica investieren. Mein Investitionstipp lautet: GAFFA TAPE! Das gehört eh in jeden Haushalt (bzw. jede Fototasche), weil „hilft für und gegen alles!“ und was man vor allem sehr gut damit machen kann: das Display der eigenen Kamera abkleben! Klingt absurd, aber tut mir einen Gefallen: probiert es mal aus! Vor dem nächsten Fotoshooting frische Akkus einlegen, Speicherkarte formatieren, ISO in Abhängigkeit von den Lichtverhältnissen einstellen (oder ISO-Automatik verwenden) und anschliessend das Display abkleben. Für den kompletten Rest des Tages. Und dann geht Ihr abends nach Hause und überspielt den Inhalt der Speicherkarte auf Euren Rechner und staunt. Und Ihr werdet staunen … versprochen! Es wird Euch zu Beginn merkwürdig vorkommen, aber nach einiger Zeit findet Ihr Euch mit Eurem „Schicksal“ ab und beginnt, aufmerksamer zu werden, Euch mehr um Euer Model zu kümmern, es besser zu beobachten. Ihr werdet bessere Porträts machen!
PS: mir ist bewusst, dass man das Display auch abschalten kann, aber WER macht das schon? Wer macht es vor allem KONSEQUENT den ganzen Tag?
Wenn ich oben den Eindruck erweckt haben sollte, als wolle ich Euch die Yashica Y35 ausreden wollen: dem ist nicht so! Ich plädiere grundsätzlich dafür, immer mit der Kamera zu fotografieren, die einem SPASS macht! Deswegen ist die Kameratechnik auch gar nicht so unwichtig, wie das bei meinen launigen Beiträgen manchmal rüber kommt. Ich würde lügen, wenn ich bestreiten würde, dass ich nicht von den Leica M Kameras fasziniert bin – wie auch von der neuen Nikon D850 und und und … Wenn die Kamera dazu führt, dass Du die lieber in die Hand nimmst, wirst Du auch bessere Fotos machen! Wenn Euch die Yashica also positiv anspricht, kauft sie. Und macht Fotos. Und wenn ihr das kleine, verrückte Ding liebt, werdet Ihr auch tolle Fotos damit machen. Technikbegeisterung darf sein – sie muss nur dann aufhören, wenn man dem Model gegenüber steht. Von diesem Moment an geht es nur noch um eines …: um das Model – den Menschen vor der Kamera!
Was war noch? Die fotografische Woche stand im Zeichen der Männer – fünf Männer habe ich für eine geplante Magazin-Strecke fotografiert. Angezogen und ausgezogen. Wenn es so weitergeht, wird das eine ganz spannende Geschichte – man darf gespannt sein …
Nächste Woche werde ich Euch wahrscheinlich mal von der Zusammenarbeit mit meinem Kurator erzählen. Der Zusammenarbeit mit einem Menschen, zu dem ich eine gewisse Hassliebe verspüre. „A pain in the ass“, aber trotzdem unglaublich hilfreich bei meinem nächsten grossen Projekt – meinem grössten bisher -, nämlich meinem dritten Bildband, der Mitte nächstes Jahres erscheinen wird. Warum man sich jemanden in’s Boot holt, der einem eigentlich fortwährend Schmerzen zufügt, ist eine der spannendsten Erkenntnisse, die ich dieses Jahr für mich gewonnen habe.
Montag geht’s für mich auf die Strasse – ich bereise den Süden und Osten Deutschlands und freue mich auf vier unterhaltsame Abende mit Gleichgesinnten, denen ich ein wenig Einblick in meine Arbeit gebe. Keine grossen Hallen, sondern Kneipen und Wohnzimmer – keine Vorträge, sondern lockerer Klönschnack bei lecker Bierchen und Knabberkram. Ich freue mich auf Karlsruhe, Erfurt, Borna und Lehnin (Ihr seht schon – es geht in die Metropolen) und melde mich dann kommenden Freitag wieder bei Euch.
Bleibt mir gewogen. Bis die Tage!
Cheers!
Andreas