Ich weiss nicht, ob es Zufall war – oder nur besonders schlau von Ben. Mehr als drei Monate nach Veröffentlichung seines ersten Bildbands schrieb mir Ben eine Mail, in der er sich eine Rezension von mir wünschte. Im „aj“-Style, wie er betonte. Drei Monate sind eine lange Zeit. Lang genug, um sacken zu lassen, was ich mir am Tag nach der Releaseparty im April erstmals zu Gemüte führte. Das war es also, was ich via Crowdfunding unterstützt hatte – von dem ich nicht wusste, was ich da eigentlich bekomme (etwas was ich zum Zeitpunkt des Crowdfunding-Starts mit Ben gemeinsam hatte).
Meine erste Reaktion beim Durchblättern des Buchs war Ratlosigkeit. Je mehr ich blätterte, desto mehr näherte sich meine rechte Augenbraue meinem Haaransatz. Belustigung paarte sich der Ratlosigkeit. Und auch ein klein wenig Respekt.
„I guess, you need balls for this …“
366 Seiten. Vollgestopft mit analog fotografierten Bildern nebst handschriftlichen Texten und Lyrics deutscher Songs – für Letzteres gibt’s schon mal einen fetten Pluspunkt. Die Dokumentation eines ganzen Jahres (2016) – so war es geplant von Ben. Und so hat er es umgesetzt. Mit einer 60-Euro-Knipse und jeder Menge (teilweise abgelaufener) Farbfilme (für die Farbe gibt’s natürlich einen fetten Minuspunkt – wir stehen also wieder bei Null).
Thema analog: mittlerweile ist es ja wieder „hip“ geworden, analog zu fotografieren, Bens Namensvetter aus Deutschlands schönster Stadt hat mit seinen „Tales“ vor ein paar Jahren vorgelegt und etliche Jünger sind gefolgt. Mir persönlich gehen alle Trends, Hypes und Kults auf den Sack. Deshalb gibt’s hierfür erst mal wieder einen Minuspunkt. Allerdings muss man Ben zu Gute halten, dass er nicht zu den Analognazis gehört, die postulieren, dass „wahre Kunst immer nur analog fotografiert sein kann“ – daher lösche ich den Minuspunkt wieder.
Wir stehen also immer noch bei Null!
Kommen wir zum Inhalt des Bildbands – kommen wir zu den BILDERN. Ich bilde mir nicht ein, Ben gut zu kennen. Aber vielleicht ein kleines bisschen. Und das bisschen, was ich kenne, finde ich in den Bildern wieder – alles schwankt zwischen Genie und Wahnsinn. Ganz so wie bei Ben selbst. Es gibt da ein paar Bilder, die ich selbst gern gemacht hätte (dafür gibt’s einen fetten Pluspunkt) und dann gibt es da diese anderen Bilder … Menschen beim Biertrinken (Kölsch! Immer nur Kölsch!), beim Pinkeln und Kotzen, Kloschüsseln samt Inhalt (dafür gibt’s einen fetten Minuspunkt). Und dann das: haufenweise unscharfe und manchmal auch fehlbelichtete Bilder. DARF MAN DAS? Ich sage „man darf“! Ich sage nicht „man MUSS“ – aber man darf! Denn auch hier gilt: Bildinhalt geht über Technik. Emotion schlägt Schärfe („Schärfe gibt’s …“ – Ihr wisst schon … ;)). Aber was genau sehen wir hier? Ist das alles nicht ziemlich beliebig? Alles irgendwie aus der Hüfte geschossen (im wahrsten Sinne des Wortes)? Alles irgendwie banal? An diesem Punkt sei die Gegenfrage erlaubt, ob es wirklich weniger banal ist, hübsche Frauen in schwarzweiss zu fotografieren? Und sind halbnackten Frauen in unaufgeräumten Küchen tatsächlich weniger beliebig?
Ich hatte die Diskussion mit einem Kollegen über Bens Buch, der monierte, dass ihm beim Crowdfunding (das er ebenfalls unterstützte) nicht klar war, dass es kein „normaler“ Bildband, sondern eher eine Art persönliches Tagebuch mit jeder Menge Krizzelei und Schnappschüssen wird. Abgesehen davon, dass Ben zu Beginn wahrscheinlich selbst nicht so genau wusste, wie und was das Ganze wird (siehe oben), halte ich die Kritik für einerseits berechtigt – andererseits liegt hier aber ein Buch vor, das uns ganz viel über den Fotografen erzählt. Und ist es nicht das, was wir uns stets vom Fotografen wünschen. Dass wir aus seinen Fotos viel über ihn selbst erfahren? Diesen Punkt erfüllt Ben Hammer mit seinem Bildband spielend.
Bens Buch ist sperrig und unbequem. Es ist teilweise sehr schlecht fotografiert (wenn wir das Lehrbuch zugrunde legen). Aber es hat etwas, das in diesen Zeiten selten geworden ist. Es ist authentisch! Es ist ehrlich. Es zeigt auf beinahe jeder Seite das Herzblut des Autoren. Und die Leidenschaft. Kein übertriebener Pathos (auch nicht bei der Bewerbung des Buches), kein Anspruch auf den Pullitzer-Preis. Da ist ein Fotograf, der sich nicht verbiegt, sondern der einfach nur das gemacht hat, was er wollte – das spiegelt sich auch in Vor- und Nachwort des Buches wider.
Für Authentizität und Ehrlichkeit gibt es 10 Pluspunkte!
Kommen wir zum Layout des Buches: das ist in meinen Augen sehr gelungen! Drei Pluspunkte dafür! Die Bilder sind spannend (und zum Teil sehr luftig) gesetzt – es ist eine Storyline erkennbar. Sehr gut!
Last but not least: ich besitze sehr (!) viele Bildbände. Viele habe ich offen gestanden nur einmal – nämlich direkt nach dem Kauf – durchgeblättert. Beim „Leben und Sterben des Ben Hammer“ ist das definitiv anders – ich nehme es immer wieder in die Hand. Vielleicht auch in der Hoffnung, es irgendwann mal zu kapieren.
Für den letzten Aspekt gibt’s noch mal zwei Pluspunkte, was uns zu einem Gesamtergebnis von 15 Punkten führt. Ist das gut? Ist das schlecht?
Ich denke, es ist völlig egal. Lest meine Rezension und bildet Euch eine eigene Meinung. Legt Ihr Wert auf „schöne Bilder“? Oder darf es rauh und ungeschönt, dafür aber aufrichtig und authentisch sein? Vielleicht ist es keine Kunst, aber ich finde, es muss auch nicht weg. Ein interessantes Buch. Eines, das nachwirkt …
PS: nur für’s Protokoll: Crowdfunding für Bildbände finde ich persönlich doof – aber das ist ja wieder ein ganz anderes Thema …
Ben himself