aj’s trivia (#42)


Foto: Yasemin Roos

 
 

aj’s trivia*
(Folge 42)
 
*trivia: „wissenswerte Kleinigkeiten, „dies und das, manchmal auch Kurioses“ [Wikipedia]
 

Die ablaufende Woche stand ganz im Zeichen meiner kleinen Tour durch vier Bundesländer (Baden-Württemberg, Thüringen, Sachsen und Brandenburg), auf der ich vor insgesamt 160 netten Menschen ein wenig über meine Arbeit erzählt habe. Sie ist auch der Grund, warum meine wöchentlichen Trivialitäten dieses Mal a) einen Tag später erscheinen und b) etwas kürzer (aber hoffentlich nicht weniger unterhaltsam) ausfallen. Nächste Woche wieder etwas mehr Text – versprochen! ;)
 
Auf meiner zweiten Etappe (in Erfurt) wurde ich gefragt „Andreas, warum machst Du so etwas wie diese Woche eigentlich?“. Ich habe diese Frage an diesem Abend etwas ausführlicher beantwortet, aber ich kann meine Antwort hier und jetzt auf eine ganz simple Aussage reduzieren: „Weil es mir einfach unfassbar viel Spass macht!“. Es macht mir Spass, auf Menschen zu treffen, die meine Leidenschaft für die Fotografie teilen, die neugierig sind oder die einfach mal nur „das Gesicht hinter den Bildern“ sehen wollen. Ich finde es großartig, wenn gleich die erste Frage am Abend in Erfurt (vor meinem kleinen Vortrag) lautet „sag mal … wer bist Du eigentlich?“ (kam übrigens aus der Jenaer Ecke – das habe ich mir schon sehr genau gemerkt … ;)).
 
Die grosse Frage, die ich mir im Vorfeld gestellt habe: was erwarten die Menschen eigentlich von mir? Lustig war schon die Rückfrage des Veranstalters in Karlsruhe am ersten Tag, welcher Art Equipment ich denn eigentlich benötige. Im Sinn hatte er wohl Laptop, Beamer und Mikro – haben wollte ich eigentlich nur eine Sitzgelegenheit. Ich gebe zu: ich habe kein Skript und kein Konzept – jeder Abend verläuft völlig anders. Aber das hat auch seine Vorteile: wenn Du kein Konzept hast, kann Dich auch niemand aus eben solchem bringen. „Also stellt einfach Eure Fragen, die Euch in den Sinn kommen. Dann hangele ich mich da entlang. Und dann wird es sicher ein interessanter Abend.“ Und so war es dann auch. Jedes Mal. Und Erfurt (wo ich zuletzt vor 26 Jahren gewesen bin) wird mir in besonderer Erinnerung bleiben. Wegen der wunderbaren Altstadt, die ich an einem Nachmittag und einem Vormittag ablaufen konnte (bei bestem Wetter). Wegen der tollen Gespräche, die ich dort abseits der Veranstaltung geführt habe. Und wegen des erstklassigem Frühstücks im Café Füchsen (dicke Empfehlung)! Besonders war aber wirklich jeder Abend: die lieben Menschen in Karlsruhe haben bereits am ersten Abend fast meine gesamten Bestände des [UN]MASKED Bildbands leergekauft, in Erfurt kamen doppelt so viele Menschen wie angekündigt, in Deutzen (bei Borna) sassen mir drei mal so viele Frauen wie Männer gegenüber und in Lehnin schliesslich habe ich eine phantastische Kürbis-Suppe essen dürfen und wir waren bis kurz vor Mitternacht im Freien – die meisten dick eingehüllt in Decken aber an der frischen Luft. Und was die Frage angeht, was die Menschen von mir erwarten, wurde diese auch für mich nach und nach beantwortet: sie wollten einfach mal den Typen kennenlernen, der diese Schwarzweiss-Bilder macht. Wollten mal gucken, wie der so „tickt“. Und ich schätze, das haben sie erfahren … :)
 
 

 
Veganes Frühstück mit Brüsten
 
 
Eine Frage, die ich mehrfach gestellt bekommen habe, war: „woher holst Du Dir Deine Inspiration?“ und ich will meine Gedankengänge dazu noch mal etwas weiter ausführen: natürlich hole ich mir meine Inspirationen auch aus Bildbänden oder Bildausstellungen (beides kann ich auch jedem anderen durchaus empfehlen), aber bei näherer Betrachtung kann ich für mich feststellen, dass ich mich am allermeisten von den MENSCHEN inspirieren lasse! Von den Menschen, die ich fotografiere, aber auch von den Menschen, denen ich täglich begegne. Deren Geschichten ich mir anhöre. Geschichten, die ich manchmal sacken lassen muss. Und dann für mich verarbeite. Möglicherweise in einem neuen fotografischen Projekt. Oder einfach nur als weitere Bausteine dessen sehe, was man als „Leben“ bezeichnet.
 
Das führt mich unweigerlich zu einem Thema, das ich bereits vor geraumer Zeit mal anreissen wollte: es geht um die Zusammenarbeit von Fotografen mit anderen Fotografen. Kürzlich las ich auf Facebook eine Ausschreibung eines Fotografen, der andere Fotografen zwecks Austauschs und Zusammenarbeit suchte. Und ich weiss noch, dass ich mich damals darüber wunderte, da ich immer das Gefühl hatte, dass Fotografen wie er doch allein durch die regelmässigen MeetUps und Partys im Dialog mit ganz vielen „Kollegen“ sind.
 
Nachgedacht habe ich aber über einen anderen Aspekt: die gemeinsamen Fotoshootings. Ich gebe unumwunden zu, dass ich davon nicht viel halte. Und das hat ganz sicher nichts damit zu tun, dass ich mir nicht in die Karten schauen lassen will. Jeder, der mich kennt, weiss, dass meine Vorgehensweise bei Fotoshootings von ergreifender Schlichtheit ist. Dass es da im Prinzip nicht viel abzuschauen gibt. Dass ich eben keine „Zaubertricks“ aus dem Ärmel schüttele, wenn man nicht genau hinschaut. Diese „Schlichtheit“ meiner Fotoshootings ist aber gleichzeitig auch der Grund, warum ich keinen Sinn darin sehe, das Ganze im „Rudel“ zu betreiben. Nicht falsch verstehen: es gibt zahlreiche Kollegen und Kolleginnen, mit denen ich jederzeit für ein paar Tage an die See fahren würde, um eine gute Zeit zu haben. Um über Gott und die Welt zu quatschen, vielleicht sogar über Fotografie. Und Bier zu trinken. Um zu fachsimpeln. Und Bier zu trinken. Um SPASS zu haben. Und Bier zu trinken. WARUM zum Henker muss ich das durch Fotografieren unterbrechen? WIE zum Teufel soll ich überhaupt die für mich notwendige Shooting-Atmosphäre kreieren, wenn mir im Hintergrund dauernd jemand zuprostet?^^
 
 

 
 
Wenn ich fotografiere, ist mir am allerwichtigsten, dass es eine mehr oder weniger intime Atmosphäre gibt. Dass ich ganz allein mit mir und dem Model bin. Dass ich vor allem ZEIT für das Model habe. Einen Tagesablauf im Sinne von „ich shoote Uschi von 12-14 Uhr und Du kannst sie dann von 14:30 bis 16:30 Uhr haben, taugt mir allenfalls für ein paar „nette Fotos“, aber ganz sicher für nicht mehr. Bin ich da irgendwie komisch? Mag sein. Aber so ist meine Arbeitsweise nun mal. Durchreisende Models, die mich anfragen und gleich dabei schreiben, dass sie zwischen zwei anderen Shootings einen Slot von dann bis dann für mich Zeit haben, bekommen eine mehr oder weniger höfliche Absage von mir. Sorry, not sorry …!
 
[Disclaimer: auch an dieser Stelle möchte ich noch einmal darauf hinweisen, dass all das Geschriebene natürlich (!) nur meine ganz persönliche Meinung ist und zudem im Kontext dessen betrachtet werden sollten, WAS ich eigentlich fotografiere. Porträts (zumindest die Art, welche ich bevorzuge) und Sensual Nude brauchen einfach den intimeren Rahmen, finde ich. Bei anderen Aufnahmebereichen kann das natürlich ganz anders aussehen.]
 
Der ein oder andere sollte darüber nachdenken, ob er die ganze Sache bisher nicht falsch angegangen ist: ist diese (fast schon zwanghafte) Verknüpfung von geselligem Zusammenkommen und Fotografieren denn wirklich zielführend? Und kann daraus wirklich Kreatives entstehen? Wenn schon nicht Intimes (aus Gründen wie oben beschrieben). Es gibt nicht wenige, die sagen, dass eine (temporäre) Einsamkeit der perfekte Nährboden für einen kreativen Geist ist und ich bin geneigt, dem zuzustimmen, wobei mir die Einschränkung „temporär“ sehr wichtig ist. Ich bin davon überzeugt, dass die grundsätzliche Inspiration in der Porträtfotografie (und ich mache bei der Sensual Nude Fotografie keinen Unterschied dazu) von den Menschen kommen sollte, die einen umgeben. Von den Menschen, mit denen wir interagieren oder die wir einfach nur beobachten. Aber wir benötigen auch die (temporäre) Einsamkeit, um diese Eindrücke zu ordnen. Sie zu sortieren – sie in eine Form zu bringen. Oder einfach nur, um aus ihnen einen kreativen Prozess in Gang zu bringen. Kreativ ist nicht, das Gleiche zu machen, was der Kollege eben auch schon mit dem Model gemacht hat. Viele Fotografen geben sich gar nicht die Chance, kreativ zu werden. Weil sie stets nur vorgesetzt bekommen, was andere machen. Weil sie reizüberflutet sind – von Facebook und Co. Und den Milliarden Bildern dort. Und weil sie – wenn sie schon mal mit Menschen zusammen sind, nicht wirklich auf diese eingehen. Sich nicht wirklich für sie und ihre Themen interessieren.
 
Desinteresse am Menschen PLUS Inspiration via Facebook PLUS fehlende Einsamkeit / fehlende Ruhe … fertig sind die blutleeren Bilder, denen wir täglich in den einschlägigen Medien begegnen. Warum nicht mal auf ein MeetUp gehen, um dort wirklich nur mit den Menschen zu REDEN? Ihnen zuzuhören? Gemeinsam SPASS zu haben? Zu LEBEN? (um im Nachgang festzustellen, dass der oder die so interessant ist, dass man gern mal mit ihm/ihr zusammenarbeiten möchte)
 
Mein Musik-Tipp der Woche: Musik von 2012, die klingt wie aus den 70ern. Macht Spass ohne Ende …
 
 

 
 
Nächste Woche geht’s weiter. Dann habe ich die Eindrücke von meiner Tour noch etwas sacken lassen. Und dann werde ich sicher noch mal die ein oder andere Frage aufgreifen, die mir dort gestellt wurde.
 
 
Bleibt mir gewogen. Bis die Tage!
 
 
Cheers!
Andreas