aj’s trivia (#43)


Foto: Yasemin Roos

 

aj’s trivia*
(Folge 43)
 
*trivia: „wissenswerte Kleinigkeiten, „dies und das, manchmal auch Kurioses“ [Wikipedia]
 

Eines meiner Lieblingsworte ist „Oxymoron“ – mit diesem kann man in jeder Diskussion punkten und ich schätze, es dürfte bei „Wer wird Millionär“ mindestens für die 8.000 Euro Frage gut sein. Schauen wir kurz nach, was Wikipedia dazu einfällt:
 
Ein Oxymoron (Plural Oxymora; griechisch ὀξύμωρος, aus oxys ‚scharf(sinnig)‘ und moros ‚dumm‘) ist eine rhetorische Figur, bei der eine Formulierung aus zwei gegensätzlichen, einander widersprechenden oder sich gegenseitig ausschließenden Begriffen gebildet wird. Häufig werden Oxymora in Form von Zwillingsformeln geprägt. Einzelne Wörter, Begriffe und selbst ein oder mehrere ganze Sätze können ein Oxymoron bilden.
 

 
 
Als Kind habe ich mal ein Gedicht gelernt, was quasi aus lauter Oxymora besteht – Ihr kennt es vielleicht auch:

Dunkel war’s, der Mond schien helle,
schneebedeckt die grüne Flur,
als ein Wagen blitzesschnelle,
langsam um die Ecke fuhr.

Drinnen saßen stehend Leute,
schweigend ins Gespräch vertieft,
als ein totgeschoss’ner Hase
auf der Sandbank Schlittschuh lief.

Und ein blondgelockter Jüngling
mit kohlrabenschwarzem Haar
saß auf einer grünen Kiste,
die rot angestrichen war.

Neben ihm ’ne alte Schrulle,
zählte kaum erst sechzehn Jahr,
in der Hand ’ne Butterstulle,
die mit Schmalz bestrichen war.

 
 
Wie oben beschrieben, kann das Oxymoron ein einzelnes Wort sein („Diäteis“), aber auch eine Wortkombination („Herrenloses Damenfahrrad“) – sogar unter den Titeln von Hollywood-Filmen gibt es das ein oder andere Oxymoron („Eyes Wide Shut“). Neben des offensichtlichen Oxymora gibt es subtilere Vertreter („Amerikanische Kultur“) und besonders Witzige wie „Microsoft Works“ (okay, der braucht ein wenig …^^). Jetzt könnte man all die genannten Beispiele für mehr oder weniger konstruierte Beispiele halten, aber wenn wir uns umschauen, sind wir eigentlich von Oxymora umgeben – vor allem bei den menschlichen Verhaltensweisen finden wir sehr viel Widersprüchliches (und hier ist endlich der Moment, in dem ich tatsächlich den Bogen zur Fotografie-Szene/-Branche schlage.
 
 
Mein erster Musiktipp heute – ein Song von 1983 mit der großartigen Songzeile „How can anyone know me When I don’t even know myself?“. Bitte komplett durchhören – und spätestens ab Minute 5 richtig LAUT!
 

 
 
Kommen wir also zu einem verbreiteten Oxymoron in der Fotografie-„Szene“: es gibt FotografenInnen, die wollen Kunst machen (oft nennen sie es selbst nicht so – sie wollen einfach „ihr Ding“ machen) und es gibt FotografenInnen, die wollen einen möglichst großen Zuspruch haben – beides gleichzeitig funktioniert in aller Regel NICHT! Das ist leider die traurige Wahrheit. Man KANN das Glück haben, dass die Dinge, die man selbst aus tiefster Überzeugung macht, auch bei anderen Menschen gut ankommt, aber das ist dann wirklich ein glücklicher Umstand und es wird trotzdem höchstwahrscheinlich eine Nische bleiben. Wenn man mit der Fotografie Geld verdient, ist das stellenweise ein schwieriger Prozess. Ich wurde letzte Woche bei meinem Vortrag in Karlsruhe gefragt
 
„Andreas, wie ist das? Passt Du Dich bei Deiner (künstlerischen) Ausrichtung dem Markt an? Oder erwartest (hoffst) Du, dass sich der Markt DIR anpasst?“.
 
Ich fand die Frage interessant, denn tatsächlich ist es so, dass man sich irgendwann wirklich entscheiden muss: mache ich das, was sich gut verkauft oder mache ich das, was ICH wirklich (!) toll finde? Insbesondere zu Beginn ist man auch und gerade als selbstständiger Fotograf gezwungen, Kompromisse einzugehen. So wie ich anfänglich noch in Farbe fotografiert habe – einfach weil es bei den Kunden besser ankam („ja, Ihre Schwarzweissbilder sind wirklich toll – aber können wir auch ein paar in Farbe haben?„). Ich wäre niemals in der heutigen Position, wenn ich den „Zwängen“ des Marktes weiter gefolgt wäre, hätte mich als Fotograf niemals so entwickelt, wenn ich weiterhin solche Kompromisse eingegangen wäre. Nicht falsch verstehen: es ist überhaupt nichts Ehrenrühriges daran, sich für das zu entscheiden, was Geld bringt. Es wird aber IMMER die künstlerische Entwicklung hemmen – so viel muss einfach klar sein. Man produziert zwangsläufig Bilder, die bei der Zielgruppe „gut ankommen“. Man wird beeinflusst und lebt seine Vorlieben nicht kompromisslos aus.
 
Dazu ein Beispiel aus meinem Bereich: die Vorbestellungen für die zweite Ausgabe meines Fine-Art-Magazins „aj“ waren nur etwa halb so hoch wie für Ausgabe #01. Was zu einem Gutteil daran lag, dass ein Mann auf dem Cover war (kein Witz!). Es gibt aber gute Gründe, warum ich z.B. keine nackte Frau auf das Cover hebe – weil es (trotz vorhandener Akt-Bildstrecken im Inneren) gegen meine Grundüberzeugung gehen würde. Ich will mit fotografischer Qualität überzeugen. Ein allzu reisserisches Coverfoto hätte für mich ein „Geschmäckle“. Ich weiss, dass meine Einstellung marketingtechnisch mehr als doof ist, aber ich möchte in diesem Fall einfach, dass sich der Markt MIR anpasst (um im Sprachgebrauch der Fragestellerin zu bleiben). Und wisst Ihr was? Ich habe ein gutes Gefühl dabei!
 
Kann/darf man sich diese Einstellung wirklich leisten? Nun, ich bin der festen Überzeugung, dass man mit den Dingen, die man wirklich (!) gern und leidenschaftlich macht, langfristig einfach auch den größten Erfolg hat. Und sei es nur, dass dieser Erfolg das persönliche Wohlbefinden ist. Ich bin nämlich ebenso davon überzeugt, dass Menschen, die jahrelang GEGEN ihre eigentlich Überzeugung handeln, krank werden. Die Branche kennt zahlreiche dieser Beispiele … leider!
 
Jetzt habe ich in den letzten Absätzen über Fotografen geschrieben, die mit der Fotografie ihren Lebensunterhalt bestreiten. Bei allen anderen Fotografen gilt aber GENAU DAS GLEICHE! Es gibt auch bei denen viele tolle Künstler, die das, was sie tun, nur für sich tun. Und dann gibt es diejenigen, die fotografieren, um möglichst viel Zuspruch zu bekommen – nur heisst die Währung bei den Amateuren nicht Euro/Dollar, sondern „Likes“. Und genau für diese Gruppe gibt es Plattformen wie Facebook, instagram und dröflzigtausend andere. Diejenigen, die fotografieren, um sich selbst zu verwirklichen, werden IMMER zufriedener sein als diejenigen, die fotografieren, um Zuspruch in Form von virtuellen Likes zu bekommen. Denn diese „Likes“ sind ein fragiles Konstrukt. Kaum dreht Mister Zuckerberg mal wieder an seinen berüchtigten Algorithmen, sinkt die Reichweite der geposteten Bilder. Und das führt zwangsläufig zu weniger „Likes“. Das stürzt viele in Depressionen und führt auf Facebook zu den immer gleichen Diskussionen: man beklagt sich erst einmal vehement über die geringe Reichweite, erkundigt sich nach Alternativen zu Facebook (Auflösung: es gibt keine ernstzunehmende – sorry to say that) und wandert dann weiter zu instagram (da funktioniert’s mit den Likes nämlich NOCH ein bisschen besser). Das ist völlig okay – genau so wie es für Berufsfotografen okay ist, sein Angebot am Markt auszurichten. Aber es ist nicht unbedingt im Sinne der Kunst. Finde ich. Es hilft nichts: will man nicht als „lebendes Oxymoron“ enden, sollte man sich für das ein oder andere entscheiden.
 
A pro pos Kunst: ich habe da einen Link-Tipp für Euch. Schaut Euch doch mal die Webseite www.shomato.com an – ein noch recht neues Magazin (das man auch in einer gedruckten Version bekommt!), das inhaltlich sehr vielversprechend aussieht.
 

 
 
Übrigens, wisst Ihr, was in gewisser Hinsicht auch ein Oxymoron ist? Ein Fotograf, der (dem Model) keine Bilder liefert!^^ Derlei Dinge höre ich von Models immer wieder. Man trifft sich, um gemeinsam Fotos zu machen, hat an dem Tag möglicherweise auch ganz viel Spass zusammen, arbeitet intensiv an der Entstehung von (schönen) Bildern und anschliessend passiert … NICHTS. Der Fotograf meldet sich nicht mehr. Und Bilder schickt er auch keine. Auf anfängliches Nachfragen reagiert er noch (wenn auch ausweichend), später antwortet er gar nicht erst. Das Model steht dann etwas ratlos da und fragt sich, was sie falsch gemacht hat.
 
Jetzt kann es (gute) Gründe für das Verhalten des Fotografen geben (wobei: für das nicht-reagieren auf Mails gibt es einfach keinen Grund – schon gar keine guten). Aber wisst Ihr, was nach meiner Beobachtung der häufigste Grund für das Nicht-Liefern von Bildern ist? Haltet Euch fest: der Fotograf hat eigentlich kein echtes Interesse an den Bildern! Jetzt denkt Ihr Euch wahrscheinlich, was ich beim Schreiben dieser Zeilen geraucht habe, aber glaubt mir einfach: für sehr viele „Fotografen“ (die Anführungsstriche sind hier kein Zufall) ist das Fotografieren an sich wichtiger als das Ergebnis – wichtiger also als die Bilder, die dabei herauskommen! Auf die Umfrage in einer grossen Modelgruppe auf Facebook bezüglich der Motive für die People-Fotografie antworteten die meisten Mitglieder „weil man eine gute Zeit mit netten Menschen verbringen kann“. Klingt erst mal sehr positiv, muss man aber sacken lassen. [nur für’s Protokoll: ich mag es auch, mich mit den Menschen, die ich fotografiere, zu unterhalten und bestenfalls auch ein paar schöne Stunden zu haben – aber am Ende des Tages gibt es für mich nichts Wichtigeres als das fertige Bild.] Ich behaupte: ein Fotograf, der kein Interesse an den Bildergebnissen hat, ist ein Oxymoron. Basta!^^
 
Ausnahmsweise gibt es heute einen zweiten Musiktipp: Den Song kennt vielleicht schon der ein oder andere – aber vielleicht nicht in dieser Version. Einer der traurigsten Songs ever in der großartigsten Version, die ich kenne. Es zerreisst einem beim Hören schier das Herz …
 
 

 
 
Haltet die Ohren steif und bleibt mir gewogen. Bis die Tage!
 
 
Cheers!
Andreas