Die Foto-„Szene“ und andere Motivationskiller

In jüngster Zeit höre und lese ich vermehrt Aussagen – sowohl von (Amateur-)Fotografen als auch von Models aus meinem Netzwerk – mit dem Inhalt „irgendwie hab ich die Lust verloren“. Die Lust am Fotografieren, die Lust am vor-der-Kamera-stehen. Die Motive hierfür sind auf den ersten Blick unterschiedlich. Die einen nennen als Grund, dass sich „irgendwie die Foto-Szene im Kreis dreht und die Fotografie allgemein in einer Sackgasse gelandet sei“. Andere (meist Models) fühlen sich ausgegrenzt – nicht zum „inner circle“ der Szene zugehörig. Die Fotografen, mit denen man zusammenarbeiten wolle, nur mit den „angesagten“ Models arbeiten. Es wird nicht verwundern, dass ich aus Reihen der Fotografen nichts anderes höre, nämlich dass die Wunschmodels immer nur mit den „angesagten“ Fotografen arbeiten.
 
Die Folge: die angesprochenen Fotografen sind frustriert und die (vermeintlich verschmähten) Models fühlen sich weniger schön oder zu dick oder zu schlecht – meist alles auf einmal. Der tägliche Blick in sozialen Netzwerke stärkt das zerfaserte Selbstbewusstsein nicht, sondern vergrößert die Problematik. „Alle anderen machen tolle Shootings, shooten darüber hinaus viel öfter, sehen super aus und sind irgendwie hip – nur ich nicht“.
 
Viele suchen die Lösung ihres „fehlenden Selbstbewusstseins-Dilemma“ darin, dass sie versuchen, Zugang zur „Szene“ zu bekommen. Kein „Meet-Up“ wird ausgelassen, jeder Studioabend wird besucht. Wenn man sich regelmäßig mit all den Fotografen und Models trifft, gehört man ja irgendwie dazu. Der Rest ergibt sich dann schon …
 
Dass diese „Meet-Ups“ das oben angesprochene Selbstbewusstseins-Problem eher noch verstärken können, ist eine Ironie des Schicksals, ein Treppenwitz sozusagen. Man geht hin, um Anschluss zu finden und geht frustriert nach Hause, weil der „inner circle“ in Grüppchen zusammensteht, jeder seine Eitelkeiten pflegt und die coole „Szene“ einfach nur coram publico zeigt, WIE cool sie wirklich ist.
 
Vergleicheritis oder auch „The grass is always greener on the other side“
 
Das ewige Vergleichen – bei Frauen noch deutlich ausgeprägter als bei den Männern – ist eine Seuche! Es zerstört das Selbstwertgefühl und führt zu ewiger Frustration. Nicht falsch verstehen: ich halte es schon für wichtig, hin und wieder über den Tellerrand zu blicken. Zwecks Inspiration und weil es einfach für die persönliche Weiterentwicklung förderlich ist. Aber bitte nicht auf Kosten der Unterminierung des eigenen Selbstbewusstseins – der Quasi-Selbstzerfleischung! Darüber hinaus halte ich persönlich die Lektüre von Bildbänden und den Besuch von Fotoausstellungen für sehr viel geeigneter, um seinen fotografischen Horizont zu erweitern …
 
Das ewige Vergleichen ist im Übrigen auch ursächlich für ein anderes Problem: es fördert die „me too“ – Philosophie! Man will so sein wie „xyz“ und verleugnet damit seine eigene Identität, kaschiert seine Individualität. All das, was uns als Menschen ausmacht und was elementar für das Künstler-sein ist! Stattdessen wird der Mainstream gefördert! Die Szene feiert „neue“ Bildlooks – oft basierend auf fancy Filtereffekten – und merkt nicht, dass das eigentlich gar nicht so „fresh“ und „hip“ ist, wenn auf einmal das Netz mit Bildern von halbnackten Frauen in unaufgeräumten Küchen geflutet wird – gepimpt mit Pseudo-Crosseffekte via Filter-Plugins, versteht sich.
 
Noch mal: gegen diese Bilder ist überhaupt nichts einzuwenden! Aber die Frage muss erlaubt sein: kann es sein, dass die „Szene“ eher schädlich ist für die Kreativität und Individualität? Oder anders ausgedrückt: braucht gute Fotografie überhaupt eine „Szene“? Wenn ja: welcher „Szene“‚gehört dann ein Peter Lindbergh an?
 
Und wenn dem so ist, dass die „Szene“ möglicherweise völlig überbewertet ist: lohnt es sich dann überhaupt für Models und Fotografen, ihr unbedingt angehören zu wollen? Ist es nicht womöglich viel besser, sich auf sein eigenes „Ding“ zu konzentrieren?
 
Man muss bei der Wertung dieser Dinge wahrscheinlich die Motive des Einzelnen unterscheiden: warum steht das Model gern vor der Kamera? Warum macht der Fotograf gern Bilder von Models? Sollte es das Motiv sein, Anschluss zu finden und Spass mit Menschen zu haben, empfehle ich, einem Sportverein beizutreten; einen Mannschaftssport zu machen! WENN es aber um die Kunst geht (und ich verwende diesen Begriff hier ganz bewusst), MUSS es dem einzelnen völlig egal sein, ob er mit seinen Arbeiten Anschluss und/oder Zuneigung der „Szene“ bekommt. Er sollte dann unbedingt das tun, was ihm persönlich gefällt – womit er sich am Besten ausdrücken kann! Und hierbei ist völlig unerheblich, ob man ein oder 20 Fotoshootings pro Monat macht – Quantität war noch nie ein Gradmesser für Qualität! Seid doch bitte froh, wenn Ihr einen
Gleichgesinnten gefunden habt, mit dem Ihr das machen könnt, das Euch Spass macht! Zeigt Eure Bilder, wenn Ihr mögt! Aber lasst um Gottes Willen nicht zu, dass die Resonanz auf die Bilder einen Einfluss darauf hat, ob und wie intensiv Ihr Eurem Hobby (Eurer Leidenschaft) nachgehen wollt! Wenn Ihr dies tut, gebt Ihr der Fotografie wieder den richtigen Stellenwert. Fotografie ist Kunst! Und Kunst braucht Individualität! Vergesst das nicht!!!

 

 

DISCLAIMER: Meine Texte spiegeln stets meine persönliche Meinung wider. Ich bin davon überzeugt, dass es die ultimative Wahrheit in der Fotografie nicht gibt, aber ich erlaube mir in meinem Blog eine pointierte und streng subjektiv gefärbte Sicht auf die Dinge, die mich beschäftigen und bewegen.